: Zwei schwere Geschütze
Nach den Aufsätzen der Historiker Bogdan Musial und Krisztan Ungvary ist um Hannes Heers Wehrmachtsausstellung erneut eine Polemik entbrannt ■ Von Christian Semler
Berlin (taz) – Zwei Veröffentlichungen der letzten Tage haben die Auseinandersetzung über die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der deutschen Wehrmacht“ neu entfacht. In den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte unternimmt der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial den Versuch, in neun Fällen eine falsche Zuordnung von Fotografien nachzuweisen. Gestützt auf Interviews mit Zeitzeugen und unter Verwendung parallellen Fotomaterials aus polnischen Archiven will er den Nachweis führen, nicht die Wehrmacht, sondern Sicherheitskräfte des sowjetischen NKWD hätten die auf den Fotos abgebildeten Opfer ermordet.
Der ungarische Historiker Krisztan Ungvary konzentriert sich bei seinem Aufsatz in „Geschichte und Wissenschaft im Unterricht“ auf den Nachweis, dass eine Reihe von Fotos, die Mordaktionen zeigen, nicht von der Wehrmacht, sondern von ungarischen Sicherheitskräften ausgeführt worden seien. Im Ergebnis stellt er fest: Nur zehn Prozent der ausgestellten Bilder werden dem selbstgesetzten Anspruch der Ausstellungsmacher gerecht,Verbrechen der Wehrmacht zu zeigen.
In einer ersten Erklärung zu beiden Aufssätzen weist der Ausstellumngsmacher Hannes Heer darauf hin, das Hamburger Institut habe mit dem Versuch, Fotos nicht nur zu Zwecken der Illustration, sondern als genuine Quelle zu benutzen, Neuland betreten. Soweit überhaupt sichere Bildlegenden auszumachen waren, habe man diese von den jeweiligen Archiven übernommen, wie das üblich sei. So spiegelten diese Legenden den Forschungsstand des Jahres 1995, des Datums der Fertigstellung der Ausstellung, wider. Die Historiker des Hamburger Instituts seien offen für Präzisierungen und Korrekturen, wie das Beispiel der Neuinterpretation des Fotomaterials zu den Morden in Zloczow erweise. Dort, wie auch im Fall der Mordtaten in Tarnopol, werde jetzt von der ursprünglichen Täterschaft des NKWD ausgegangen. Auf die Artikel von Musial und Ungvary werde an gleicher Stelle geantwortet werden.
Die Äußerungen Heers stehen im Kontext der Bemühungen des Hamburger Instituts, mehr theoretische und praktische Klarheit über die Verwendung von Fotos als Quelle zu gewinnen. Diesem Bemühen war auch eine wissenschaftliche Konferenz gewidmet, die das Institut im Frühjahr dieses Jahres veranstaltet hat. Die Ergebnisse dieser Konferenz spiegeln auch den Lernprozess der Wissenschaftler wider, die sich mit der Sammlung und Auswertung von historischen Fotos beschäftigen. Im Ergebnis konnte festgehalten werden, dass sich in nahezu allen Fotoarchiven und Ausstellungen der Bundesrepublik massive Irrtümer hinsichtlich der Datierung, des Orts und der Urheberschaft finden – Resultat einer oft nachlässigen, nachträglichen Beschriftung und der Tendenz, Fotonachlässe im Orginal auseinanderzureißen und nach Sachgebieten aufzuteilen, womit der ursprüngliche Zusammenhang Fotograf/Foto zerrissen wird. Die Konferenz verabschiedete ein Dokument über den Mindeststandard im Umgang mit fotografischen Quellen.
In den Presseveöffentlichungen, die den beiden Artikeln der ostmitteleuropäischen Historiker folgten, werden dem Hamburger Institut im Wesentlichen zwei Vorwürfe gemacht: Erstens seien sie bei der Bildauswahl, den Unterschriften und dem Zusammenhang, in dem die Fotos gezeigt wurden, von vorgefassten Meinungen ausgangen. Und sie würden zweitens naiv annehmen, historische Fotos böten eine authentische visuelle Wahrheit.
Die Mitarbeiter des Instituts bekräftigen demgegenüber ihre theoretische Konzeption, die Fotos in den Kontext der historischen Umstände, unter denen sie entstanden ist, zu stellen, Und sie beharren darauf, dass die Fotos auch als Quelle für die Mentalität derer dienen, die sie aufgenommen haben. Nach diesen Kriterien sei man vorgegangen, wobei der Charakter des Bildmaterials (oftmals ohne jede Beschriftung) allerdings sehr große Probleme der „Verortung“ aufgeworfen habe.
Sowohl Musial als auch Ungvary betonten in ihren Aufsätzen, dass die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg außer Frage stünden. Während sie damit das Grundanliegen der Wehrmachtsausstellung bekräftigen, ziehen sie deren Gesamtkonzeption als vorurteilsbeladen und agitatorisch in Zweifel. Ob sie mit dieser fundamentalen Kritik zu weit gegangen sind, wird die Antwort der Historiker des Hamburger Instituts erweisen.
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