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Rutsch mir doch den Buckel runter

■ Der FC St. Pauli spielt gegen Mainz unentschieden, rauscht aber trotzdem weiter abwärts

Die Agonie des FC St. Pauli nimmt langsam erschreckende Züge an. Was die Spieler des Millerntor-Klubs sich Woche für Woche leisten, ist längst nicht mehr zweitligatauglich. Das gestrige 2:2-Unentschieden gegen den FSV Mainz 05 war trotz des Punktgewinns und der beiden erzielten Treffer ein weiterer Schritt in Richtung Regionalliga. Die Mannschaft zeigt nicht einmal mehr den Willen zu gewinnen. Wobei von Mannschaft genau genommen nicht gesprochen werden kann. Um die 20 Fußballer versuchen derzeit alles Menschenmögliche, ihrem Trainer Willi Reimann Ausreden für die Pressekonferenzen nach den Spielen zu liefern.

Da ist beispielsweise Marcus Marin, einer der erfahrensten im Team, der gestern immerhin zweimal traf. Das täuscht aber nicht über seine schwache Leistung hinweg. Offensichtlich interessiert er sich mehr für tragbare Fernseher als für Fußball. Einen solchen wollte er über die Marketing-Abteilung des Vereins vom Sponsor Panasonic geschenkt bekommen. Für seine Frau. Fürs Auto.

Das ist kennzeichnend für die Haltung der schwachen Kicker. Allenthalben werden Forderungen gestellt, doch die Ansprüche an sie selbst werden allwöchentlich nicht erfüllt. Aber sie trifft nicht einmal die Hauptschuld für das Versagen. Verantwortlich ist einer, der es bislang nicht geschafft hat, aus den Individuen ein Team zu formen: Coach Willi Reimann.

Gegen Mainz machte er „Lücken auf der rechten Seite“ aus, über die die Rheinhessen zu Konterchancen gekommen seien. Und natürlich war das 2:2 „unter'm Strich nicht das gewünschte Ergebnis“. So redet Reimann immer. Von individuellen Fehlern ist dann die Rede, die in Einzelgesprächen analysiert würden. Ein Spieler, der schon lange für St. Pauli spielt, sieht das ein wenig anders: „Wenn der dich beim Training fragt, wie es dir geht, ist das fast schon ein Dialog.“ Und einer der Jüngeren, auf die der Trainer angeblich so setzt, ergänzt: „Der Mann hat seine Launen, und wir müssen sie immer ausbaden.“

Dabei wäre es für manche Spieler enorm wichtig, wenn Reimann sich einmal mit ihnen unterhalten würde. „Auch wir Älteren profitieren davon, wenn uns mal einer sagt, was wir gut oder schlecht gemacht haben“, so ein weiterer Altgedienter im braun-weißen Trikot. Und gerade Spieler wie Stürmer Miguel Pereira, den seine Kollegen als Trainingsweltmeister bezeichnen, würden sich freuen, wenn der Trainer ihnen entweder das Vertrauen schenken würde oder Auskunft gäbe, wo ihre Schwächen liegen.

Statt dessen wirken die Aufstellungen und Auswechslungen Reimanns ziemlich zufällig. Entweder gibt er Mittelfeldspieler Andrej Polunin eine Chance über 90 Minuten, oder er lässt ihn ganz aus dem Spiel. Ihn wie gestern nach zwei Dritteln der Spielzeit auszuwechseln, dürfte beim Ukrainer nur ein Gefühl auslösen: Rutsch mir doch den Buckel runter. So denkt bald die ganze Mannschaft.

Und jetzt hat Reimann auch noch Personalprobleme. Libero Puschmann sah gestern die rote Karte, und Dirk Wolf verletzte sich am Knie. Man müsse jetzt doch über Neuverpflichtungen nachdenken, meint Reimann. Vielleicht sollte er mal auf die Ersatzbank schauen. Dort sitzen all seine Wunschspieler. Und spielen nicht.

Eberhard Spohd

St. Pauli: Wehlmann, Puschmann, Tsoumou-Madza, Stanislawski, Wolf (ab 40. Karaca), Lotter (ab 84. Trejgis), Hanke, Polunin (ab 58. Wehlage), Bajramovic, Marin, Klasnic

Mainz: Wache, Klopp, Neustädter, Herzberger, Hock, Din-Mohammadi, Kramny (ab 78. Lieberknecht), Kolvidsson, Spyrka, Policella (ab 63. Ratkowski), Demandt (ab 81. Thurk)

SR.: Schmidt – Z.: 11.300

Tore: 1:0 Marin (16.), 1:1 Policella (37.), 1:2 Policella (53.), 2:2 Marin (60., Handelfmeter)

Bes. Vorkommnisse: rote Karten für Hock (59.) wegen Handspiels und Puschmann (85.) wegen Notbremse

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