: Mit Zwischenraum, hindurchzuschaun
■ Gestern ging die Viennale zu Ende. Sie zeigte Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme satt. Auch der pornografische Autorenfilm war durch die Französin Catherine Breillat vertreten
Was der Korrespondent der britischen Filmzeitschrift Sight and Sound, Philip Kemp, beim abendlichen Tischgespräch im Lusthaus im Prater launig zum Besten gab, brachte vielleicht nicht genau das Bildungsgut ins Spiel, auf das man beim großen Empfang der Viennale unbedingt gefasst gewesen wäre. Dennoch machte, was er vortrug schönen Sinn, im Hinblick auf das Internationale Filmfestival der Stadt Wien und die Filme der dreizehntägigen Veranstaltungsreihe, die gestern zu Ende ging. Ausgerechnet Christian Morgenstern nämlich rezitierte Philip Kemp: „War einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun. Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da – und nahm den Zwischenraum heraus ... Der Zaun indessen stand ganz dumm mit Latten ohne was herum, ein Anblick, gräßlich und gemein ...“
Die Verse könnten die Laudatio auf die Viennale sein, den Zwischenraum zwischen dem Kommerzkino und den großen Filmfestivals wie Berlinale, Mostra und Cannes. Im Zwischenraum gibt es Luft, Licht, man kann ein bisschen hierhin und ein bisschen dorthin schielen und in den Lücken Filme entdecken, die man im Kino nicht ohne weiteres sehen wird, die aber auch auf den großen Festivals nicht notwendigerweise auftauchen. Hier lassen sich Retrospektiven und Hommagen zusammenstellen, die das Budget kommunaler und anderer Filmkunstkinos übersteigen, und natürlich werden auch die dicken Pflöcke eingeschlagen, die Highlights der großen Festivals, die bald ins Kino kommen werden. Denn die braucht es, damit der Zwischenraum erst richtig sichtbar wird.
Auch in diesem Jahr war verschwenderisch viel Platz im Zwischenraum der Viennale, in dem nur die außerordentlich gastfreundlichen Essenseinladungen das Nonstopangebot an Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen unterbrachen. Die mischten sich mit der Reihe „Auf den zweiten Blick“, in der zwar bekannte, bislang jedoch nur in verstümmelter oder verfälschter Form präsentierte Filme in einer neuen, autorengerechten Fassung gezeigt wurden. Dazu kamen das Tribute an Maureen O'Hara, an den Kameramann Christopher Doyle und an die Dokumentarfilmwerkstatt Les Films d'Ici sowie die Retrospektive des indischen Filmemachers Satyajit Ray (1921 bis 1992) im Filmmuseum Wien. Film satt also, unmöglich, alles zu sehen, blieb also nur die radikal subjektive Auswahl.
Da schien die Gelegenheit verlockend, der Spur der pornografischen Autorenfilme weiter nachzugehen, die bei den Filmfestspielen am Lido gelegt worden war. Nach Frederic Fontaynes „Une liaison pornographique“, Jang Sun Woos „Lies“ und Davide Ferarios „Guardami“ in Venedig ging in Wien Catherine Breillats „Romance“ der Ruf des Skandalfilms voraus. Weil ihr Ehemann, das männliche Model Paul (Sagamore Stevenin), nicht mehr mit ihr schläft – anscheinend in einem nicht offen erklärten Krieg um die Macht in ihrer Beziehung –, geht die Lehrerin Marie (Caroline Ducey) wahllos Beziehungen mit fremden Männern ein. Als erstes trifft sie auf den gut gebauten, aber viel zu gutmütigen Paolo, den der italienische Pornosuperstar Rocco Siffredi spielt, dann begegnet sie dem erfahrenen Verführer und Bondage-Spezialisten Robert, der ihr erklärt, dass die schönsten Frauen immer den hässlichsten Männern erliegen müssen, und zu guter Letzt bietet sie sich einem Vergewaltiger als Opfer dar, bevor sie ihr Mann dann doch in einem sehr oberflächlichen Geschlechtsakt schwängert. Kurz vor der Niederkunft jagt ihn Marie in die Luft, und nachdem sie ihr Kind geboren hat, weiß sie, dass frau keine Frau ist, bevor sie nicht Mutter wurde, und dass alles vor der Mutterschaft „nicht zählt“.
Die Erzählstimme ihrer Heldin, mit deren Hilfe Breillat die Zuschauer durch die krude Handlung lotst, verstärkt nur das Offensichtliche: dass „Romance“ nämlich mehr Bekenntnis und Botschaft denn Film ist. Was Frauen schon immer mal über Sex sagen wollten und sich endlich zu sagen trauen oder so ähnlich darf man die reichlich konfusen und widersprüchlichen Äußerungen von Marie interpretieren. Und wenn die stets kommentierten Bilderfolgen tatsächlich einige mehr oder minder pornografisch explizite Detailansichten von Schwänzen und Mösen zeigen, zu einer Geschichte der lustvollen Begegnung der sexuellen Körper von Mann und Frau findet Catherine Breillat trotz allem nicht.
Da traf es sich merkwürdig, dass auch Catherine Corsinis „La nouvelle Eve“ mit einer schwangeren Heldin endet. Obwohl als furchterregend komisch angekündigt, ist der einzige Witz an diesem Film über die Irrwege von Camille (Karin Viard) der Titel. Schließlich ist die neue Eva die altbekannte. Unbeständig, inkonsequent, verwirrt, eine Nervensäge, auch und gerade in der manischen Verfolgung ihres Ziels, den spießigen Sozialisten Alexis, ihre große – freilich verheiratete und mit zwei Kindern familiär verankerte – Liebe doch noch zu ergattern.
Der Zwischenraum, in dem die gewöhnlichen Frauen leben, die nicht die Entschuldigung eines bösen Ehemanns brauchen, um es zu tun, die nicht der Exculpation durch eine Schwangerschaft bedürfen, wenn sie es – in welchen perversen oder vorgeblich perversen Formen auch immer – dann doch wirklich getan haben, die nicht unbedingt Familien zerstören müssen, um am Ende doch nur wieder Mutter zu werden, gibt es in beiden Filmen nicht. Haben hier die Architektinnen des französischen Differenzfeminismus ihren massiven, lückenlosen Bretterzaun aufgebaut? Nun gut, man muss sich bei einem solchen Filmfest an dem einen oder anderen Beitrag hart stoßen, sonst glaubte man noch, der Zwischenraum der Viennale böte endgültig Durchlass ins Cineasten-Paradies. Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen