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Fossilien mit Bowlerhüten ■ Von Ralf Sotscheck
Eine solch hohe Konzentration von Knallköpfen auf engstem Raum wie im Londoner Oberhaus ist weltweit einmalig. Doch nun haben die feinen Fossilien vorige Woche dafür gestimmt, den Erbadel hinauszuwerfen. Na ja, nicht ganz: 92 der 751 Lords, die ihren Titel den Ahnen verdanken, dürfen vorerst auf den Westminsterbänken sitzen bleiben, müssen sich aber schriftlich bewerben – in nicht mehr als 75 Worten, denn irgendjemand muss die senile Verbaldiarrhö schließlich lesen.
Graf Alexander von Tunis hat ein überzeugendes Argument: „Beim lebendigen Gott, der mich geschaffen hat: Ich liebe dieses Land.“ Das muss für einen Sitz reichen. Sein Kollege, der Graf de la Warr, hat einen Nebenjob bei einer Investmentbank, deshalb konnte er bisher nur selten im Oberhaus vorbeischauen – „aber nicht aus Mangel an Interesse“. Der Guardian schlug vor, sich auf diese Art doch mal bei einer Bank zu bewerben: Zwar hätte man großes Interesse am Job, aber leider zu wenig Zeit, um sich am Arbeitsplatz hin und wieder sehen zu lassen.
Und dann gibt es noch einen Earl Grey, der als Hobbys „kleine Geschäfte und den Commonwealth“ auflistet. Nanu, kein Wort über den berühmten Tee? Stattdessen führt Graf Grau seinen „großartigen Sinn für Humor“ an, was bei Leuten seines Standes nichts Gutes verheißt. Der Vicomte Alanbrooke rühmt sich dagegen seines Vaters, der gegen die Nazis gekämpft hat. Den gebührenden Respekt könne man ihm nur dadurch entgegenbringen, indem man die Alanbrookes für alle Ewigkeit im Oberhaus belasse. Hat der Vicomte einen zu engen Bowlerhut getragen? Genauso gut könnten die Churchills verlangen, aufgrund von Opa Winstons Sieg über Hitler bis ans Ende aller Tage den Premierminister zu stellen.
Die alten Knaben im Oberhaus leiden aber nicht nur an fehlendem Kontakt mit der Realität, sondern sie sind auch schwulenfeindlich und rassistisch. Als das legale Alter für homosexuelle Beziehungen auf 16 herabgesetzt werden sollte, kamen sie aus allen Himmelsrichtungen angekrochen und verhinderten den Untergang Britanniens vorübergehend. Doch dann machte die Labour Party den 34-jährigen Waheed Alli zum Lord, und der ist nicht nur schwul, sondern obendrein asiatisch.
Das ist zuviel für so manchen Erblord. Einer von ihnen hielt Lord Alli einen Vortrag über Indien und lobte die Ergebenheit der indischen Diener. Selbst das Wachpersonal nimmt dunkelhäutige Adlige nicht für voll. Als sich Alli mit der schwarzen Baronin Amos in der Lobby unterhielt, fuhr der Türsteher dazwischen und ermahnte sie zur Ruhe, denn im Saal würden schließlich echte Lordschaften arbeiten.
Auch die auf Lebenszeit ernannten Lords sind keineswegs gegen Dummheit gefeit. Lord Tebbit, den sich Margaret Thatcher während ihrer Amtszeit als privaten Rottweiler herangezüchtet hat, sagte über Lord Alli: „Er ist asiatisch, wie ungefähr drei Prozent der Bevölkerung. Und er ist aktiver Homosexueller, wie weniger als fünf Prozent, wahrscheinlich sogar nur ein Prozent der Bevölkerung. Wen repräsentiert er eigentlich?“ Wen aber repräsentiert ein bösartiger Rottweiler? Wenn Frauchen ihn nicht mehr unter Kontrolle hat, muss er eingeschläfert werden.
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