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Wälzen, Fuchteln und Schreien

Beim 1:1 zwischen dem HSV und Borussia Dortmund wird die Tradition von Spitzenspielen fortgeführt und eine Wrestling-Veranstaltung imitiert    ■ Aus Hamburg Philipp Jarke

Ein waschechtes Spitzenspiel: Kein guter Fußball, aber jede Menge Unsportlichkeiten, grobe Fouls, Geschubse, Pöbeleien. Gerade bei den sogenannten Fußballfesten – volles Stadion, blauer Himmel, Live-Übertragung – scheinen die meisten Profis zu vergessen, wofür sie bezahlt werden: Fürs Laufen und Toreschießen. Als „Lehrbeispiel der Unsportlichkeit“ bezeichnete der frühere Fifa-Schiedsrichter Manfred Amerell das 1:1 zwischen dem Hamburger SV und der bis dahin tabellenführenden Borussia aus Dortmund. „Bei jeder Entscheidung wird lamentiert und reklamiert statt gespielt“, rügte er das üblich gewordenen Verhalten der Bundesligaakteure.

Auch während der Partie im Volksparkstadion hielten die Profis offenbar den Schiedsrichter für ihren härtesten Gegner. Es wurde sich am Boden gewälzt, mit den Händen gefuchtelt und vor allem: Es wurde geschrien. Dabei weiß doch jeder, der schon mal die Laufschuhe geschnürt hat, dass ständiges Gebrabbel zu Kurzatmigkeit führt. Es sah auch sehr danach aus, als litten Otto Addo und Rodolfo Cardoso unter akutem Seitenstechen, derart kläglich vergaben sie alleinstehend vor des Gegners Schlussmann. Dabei zählten die beiden zu den ruhigsten Akteuren auf dem Platz und waren vielleicht gerade deshalb noch die Besten ihrer Teams.

In der knüppelhart geführten Begegnung standen besonders Hamburgs Verteidiger Andreas Fischer und Dortmunds Torhüter Jens Lehmann kurz vor einem Platzverweis. Fischer war neu in die Mannschaft von Frank Pagelsdorf gerückt, die gegen die drei Spitzen Addo, Möller und Bobic mit einer Viererkette agierte. Der Routinier spielte seinen Part auf der rechten Seite zwar sehr solide, schien aber in vielen Szenen derart übermotiviert, dass er sich über eine zweite Verwarnung wegen ständigen Meckerns nicht hätte beschweren können.

Der Nationaltorwart auf Dortmunder Seite hatte schon unter der Woche das Publikum mit abfälligen Bemerkungen über Hamburgs Feldspieler („Weicheier“) gegen sich aufgebracht. Über die gesamten 90 Minuten zählte Lehmann dann zu denjenigen, die den Mund nicht mehr zu bekamen. Zu allem Überfluss erdreistete sich Schiedsrichter Wolfgang Stark auch noch, Elfmeter für den HSV zu pfeifen, als Ricken an Grammozis' Trikot zerrte. Das war des Guten wohl zu viel. Lehmann musste nämlich damit rechnen, dass ihm Nationalmannschaftskollege Hans-Jörg Butt per Strafstoß das Maul stopfen würde. Also wurden noch schnell ein paar Hasstiraden Richtung Schiedsrichter Wolfgang Stark abgefeuert. Diese zeigten nicht die erhoffte Wirkung, drum wendete er sich Butt zu, redete auf ihn ein, schnappte sich wiederholt den Ball und bot dem Hamburger Goalgetter sogar noch eine Wette an. Doch Hans-Jörg Butt zählt nicht zu den gesprächigsten Kollegen. Stattdessen nahm er die Wette an und sicherte sich mit seinem Schuss zum 1:0 auch noch die 50 Mark Wetteinsatz zusätzlich zur Auflaufprämie.

Doch die Freude der Hamburger über die vermeintliche Tabellenführung währte gerade acht Minuten. Als die Hamburger Abwehr versuchte, sich ein wenig auszuruhen und vor sich hinträumte, bediente Evanilson Fredi Bobic mit einem aus dem Stand geschlagenen Schlenzer, während Andrej Panadic, ganz außer Atem, das Laufen und Springen vergaß. Bobic ließ Butt bei seinem Kopfball keine Abwehrmöglichkeit.

Das war's dann aber auch schon an wirklichen Torraumszenen. Die Dortmunder kamen nicht mehr zu Konterchancen wie noch in der ersten Halbzeit, und die Stürmer des HSV blieben über die gesamte Partie ziemlich wirkungslos. Michael Skibbe hatte gleich drei Manndecker aufgeboten, die dann auch noch von Dauerredner Stefan Reuter als Ausputzer abgesichert wurden. In der letzten Viertelstunde hatte dann das Gepöbel den Spielern die letzte Kraft aus den Lungen genommen, so dass beide Teams ihre angekündigte Operation Gipfelsturm nicht erfolgreich beenden konnten. Reden ist Silber, Siegen wäre Gold gewesen.

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