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Das Marlene-Syndrom ■ Von Susanne Fischer
Es ist nicht so, dass man auf der Straße dafür gehauen würde. Mir werden noch Brötchen verkauft und die Butter dazu. Es ist auch noch niemand auf die Idee gekommen, eine Interessengemeinschaft zu gründen von wegen der Verfolgung unserer Minderheit. Aber eine Selbsthilfegruppe wäre vielleicht doch angebracht.
Seit ich fünfzehn bin, verweigere ich nämlich das Augenbrauenauszupfen. Vorher habe ich es zwar auch schon verweigert, aber vorher stand es noch nicht auf dem Stundenplan. Man kann es leichter haben im Leben. Die älteren Frauen haben sich ihre Augenbrauen komplett ausgerupft und stattdessen braune Striche auf die Stirn gepinselt, die nun allmählich, wo den Kandidatinnen das Auge trüb und die Hand unsicher wird, kreuz und quer wie bunte Schmisse unter dem Haaransatz herumlaufen. Ich sage ja immer: Wenn die Augenbrauen zu nichts gut wären, hätte der Herrgott sie uns nicht ins Gesicht gepflastert.
Diese „Wir rupfen komplett und malen neu“-Methode geht natürlich auf Marlene Dietrich zurück. Wunderbar, jene hohen, spöttischen Rundbögen, leichtfüßigen Arkaden gleich. Arkaden, die von den wunderschönen, kühlen Augen Marlene Dietrichs bewohnt werden. Kann man sich etwas Schöneres vorstellen? Nein. Wohl aber etwas Hässlicheres: der nämliche Brauenschwung, unter dem das Schlupflid von Lieschen Meier klappert.
Spätere Frauengenerationen machten einen Kompromiss: Sie rupften sich nur so viele Haare aus dem Gesicht, dass noch ein dünner Strich auf jeder Seite übrig blieb, dem allerdings auch mit Farbe nachgeholfen werden musste. Die Rötungen und Schwellungen, die das Ausrupfen jedesmal nach sich zog, ließen sich nach ein paar Tagen leicht mit Make-up kaschieren. Hat sich denn nie ein Mann gewundert, wenn ihm die Liebste bedeutete, die nächsten drei Tage könne sie ihm nicht unter die Augen treten wegen einer schmerzhaften kosmetischen Prozedur?
Offenbar nicht. Die Sorte Menschen, denen das Haar zum Hemdausschnitt heraus- und unter den Manschetten hervorquillt, scheint Selbstverstümmelung bei Frauen für normal zu halten. Man kann sich das, was von den Augenbrauen nach dem Zupfen noch übrig ist, übrigens auch färben lassen. Das brennt so schön auf der Haut.
Nur einmal bin ich schwach geworden. Mein erstes Rendezvous fand im Schwimmbad statt. Ich war fünfzehn, und ich wollte den Jungen später heiraten. Deshalb griff ich zur Enthaarungscreme, aber nicht die Brauen, sondern der Bereich, den man schamhaft Bikinizone nennt, wurde zum Einsatzgebiet der chemischen Keule. Die „gründliche und dauerhafte Enthaarung“ hielt anderthalb Tage, etwa so lange wie meine große Schwimmbadliebe. Dann setzte ein grauenhaftes Jucken und Pieksen ein, und die Haare wuchsen wieder, doppelt so schnell wie vorher. Sie wollten sehen, was sie in der Zwischenzeit verpasst hatten. Es war nicht viel. Vielleicht hätte er mich geheiratet, wenn ich meine Augenbrauen rechtzeitig ausgerottet hätte, wer weiß.
Lasst euch weiterhin von Kosmetikerinnen zum Heulen bringen, wenn es euch gefällt. Aber reißt dafür euren Männern die Nasenhaare aus, am besten, wenn sie gerade ganz entspannt vor dem Fernseher lümmeln.
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