: Gestern am Badesee Von Kurt Nane Jürgensen
Ich bin natürlich mal wieder selber schuld. Warum kann ich nicht einfach meinen Mund halten? Jetzt hab' ich das Geplärre der Kinder. Und meine Frau hat auch nur den Kopf geschüttelt. Gestern nachmittag um 14.17 Uhr zerfetzte ein satellitengestützter U-Boot-Torpedo unser Ruderboot auf dem Badesee in der Kiesgrube. Die Detonation war so heftig, daß auch noch gleich zwei Schlauchboote und eine Luftmatratze mit in die Luft flogen. Außerdem zerlegte die Druckwelle den Eiskiosk am Ufer in seine Bestandteile.
Der Kripobeamte vermutet einen gezielten Anschlag des Kleingärtnervereins. Die haben sich nämlich schon oft gegen die Boote auf dem See in Flugblattaktionen ausgesprochen, um ihre beschauliche Ruhe zu haben. Außerdem sei ein notorisch linksradikaler Lehrer, der schon 1967 vor dem Karstadt-Kaufhaus ein Flugblatt verteilt habe, stellvertretender Vorsitzender des Kleingärtnervereins. Da wisse man doch, was los sei, stimmt's?
Erwin, Kampftaucher bei der Bundesmarine, ist hingegen fest überzeugt, daß dies ein gezielter Anschlag versprengter Reste einer Sondereinheit sowjetischer Marinesoldaten sei. „Die wollen einfach nicht einsehen, daß der Kalte Krieg zu Ende ist.“
Der alte Herr Kostedde hingegen hat mir als vertrauliche Mitteilung zukommen lassen, daß er zwei Männer mit Baskenkäppi am Seeufer gesehen habe. „Baguettes mit Camembert haben die auch gegessen.“ Er schwört Stein und Bein, daß das Franzosen waren. „Ich weiß selber“, sagt er, „daß das komisch ist. Warum sollten die Franzosen Ihr Ruderboot in die Luft sprengen?“ Ja, warum bloß?
Ich ging nach Hause und erzählte meiner Frau nichts von Kosteddes Beobachtungen. Ärgerte mich aber schon, daß ich dieses Fax an die französische Botschaft in Bonn unter ihrer Nummer 0228/ 38292850 geschickt und mich gegen die Wiederaufnahme der Atomtests im Südpazifik ausgesprochen hatte.
Na gut, das Ruderbootfahren war mir eh längst zu anstrengend geworden. Also schickte ich noch ein Fax an die Außenstelle der französischen Botschaft in Berlin (030/4146490) und teilte denen mit, daß ich für die nächsten acht Jahrzehnte keinen Camembert und Beaujaulais mehr kaufen würde.
Der Spezialist vom Landeskriminalamt schaute mich nur komisch an, als ich ihm die versenkten Plastikfregatten meines Sohnes zeigte. Wir zogen dann in das städtische Obdachlosenheim, weil es wohl drei bis vier Jahre dauern wird, ehe die Auswirkungen der Wasserstoffbombe, die in unserer Badewanne einschlug, behoben sein werden. Der Bausenator überlegt, jetzt wo der Stadtteil eh hin ist, ob man nicht erst die Realisierung der Tiefgarage in Angriff nehmen soll. Das Loch im Erdreich jedenfalls ist schon da. Die Stadt könnte eine Menge Geld für nicht mehr notwendige Erdarbeiten einsparen.
Vom öffentlichen Fax-Gerät des Postamtes wollte ich dann noch dem französischen Generalkonsulat in Hamburg (040/ 4103378) mitteilen, daß ich in Zukunft auch keine einzige Urlaubswoche mehr in Frankreich verbringen würde. Aber unter dieser Nummer nahm keine Faxmaschine mehr ab. Denen war wohl schon das Papier ausgegangen.
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