Erlenmeyer ist überall

■ Heute liest der Bremer Politik-Dozent Christoph Spehr aus seinem neuen Buch, das den Kosovo-Krieg, rechte Ökos, Arnold Schwarzenegger und die Welt erklärt

Christoph Spehr gibt an der Uni Bremen Kurse mit Themen wie „Neuere linke Theorien“, „Ökologie und Politik“ oder „Psychologie und Politik“. Was ist da los? Wie kann das sein? Aufgrund letzter – quasi blinddarmartiger – Atavismen studentischer Mitbestimmung konnten linke Studies in der sogenannten „Studiengangkommission“ bewirken, dass Spehr einen Lehrauftrag bekommt. Lehrauftrag ist ein (genauer gesagt, eines der vielen und immer vieler werdenen) Synonym(e) für Viel-Arbeit-wenig-Geld. So richtig geldmäßig ins System rein kommt einer wie Spehr wohl nicht. „Ich werd bestimmt nix.“ Das liegt vielleicht daran, dass er schon was ist. Zum Beispiel Autor des Buches „Die Ökofalle“. Erschienen ist es im zwergerl-großen promedia Verlag und bezahlt wurde Spehr in Naturalien, sprich Büchern. In Folge dieser Publikation hagelte – oder tröpfelte – es Einladungen. Zum Beispiel zu Debatten über die sagenumwobene „Nachhaltigkeit“. Spehrs Part war es, auf den affirmativen Charakter des scheinprogressiven Begriffs hinzuweisen: Lasst uns den Gürtel enger schnallen, und zwar fröhlich und mit aufrechter Überzeugung.

Irgendwann konnte Spehr jeden Satz bei derlei Diskussionen – Argument und Gegenargument – vorhersagen, als wäre die Seherin Uriella in ihn geschlüpft: politische Theorie als zähes, nervtötendes Déjà-vu. Das war der Moment, in dem er erkannte, dass er einen neuen linken Diskurs zu erfinden habe, neue Metaphern, neue Anschaulichkeit, neue Plausibilitätsstränge jenseits der verbrauchten Begrifflichkeit. Das tat er dann auch und bekam dafür sogar vom Verlag Siedler/Bertelsmann ein ansehnliches Bätzchen – ein Batzen war's dann nicht – Geld: Einer jener selten-seltsamen Fügungen, die Spehr gerne als „vorrübergehendes Öffnen eines Fensters hinaus aus dem Bestehenden“ (oder zumindest so ähnlich) beschreibt.

Kleinkrämerische Menschen können einiges einwenden gegen Spehrs neuartiges, superunterhaltendes, bisweilen brillant formuliertes Theoriewerk namens „Die Aliens sind unter uns“. Zum Beispiel, dass sich selbst die wagemutigsten Behauptungen offenbar frei von jedem Begründungszwang fühlen: Etwa wenn Spehr von der Kraft sozialer Bewegungen im Allgemeinen und des Feminismus im Besonderen schwärmt. Absolut bestechend ist aber seine Denkmethode: Spehr beschreibt die unterschiedlichen Strategien, mit denen Aliens in Hollywoodfilmen (allen voran im unvermeidlichen Blade Runner, aber auch in Akte X, Alien 1-4, Die Dämonischen, Matrix, Terminator 2, Scream ...) von menschlichen Körpern, Seelen und Gemeinwesen Besitz ergreifen – und hält plötzlich eine veritable Analyse der realen Machtstrukturen in seinen Händen. Das Alien im Dienste extraterrestrischer Mächte wird zum Symbol für all die Ganz- und Teilangepassten, die ihre eigenen Interessen vergessen haben.

Schon Bloch, Benjamin und der von Spehr innig geliebte Klaus Theweleit schielten schräg vorbei an der Hochkultur aufs Alttägliche und Triviale, um dort verborgenes Wissen – manchmal verbogen, dafür meist sehr sinnfällig – über die Welt auszubuddeln. Sience fiction hielt Spehr für prädestiniert für solches Thrash-meets-Theorie-Cross-over. Erstens, weil sich S.F. bewährt hat als Kommunikationsterrain mit fremdartigen Wesen wie es zum Beispiel halbwüchsige Söhne (Spehr hat einen) sind. Zweitens, weil das Thema schon mal erfolgreich für den politischen Diskurs aktivierte wurde und zwar auf der SPEX-Tagung „Loving the Alien“, damals allerdings zur Beschreibung der Knechtung und Entfremdung von schwarzen Rappern. Drittens, weil Spehr in seinem Bekanntenkreis immer öfter auf schleichende, unscheinbare aber auf den zweiten Blick radikale Geisteswandlungen stieß: Freunde aus alten Bewegungstagen wendeten plötzlich kritische Begriffe gegen Links – und sich selbst zu Aliens. Das ist so ähnlich wie bei Aids, wo sich das Abwehrsystem plötzlich gegen den eigenen Körper richtet. Schily, Fischer, Enzensberger usw. sind nur dessen übelste Ausprägungen, aber keineswegs Ausnahmen.

Die Begrifflichkeit für solch rechtes Seuchenverhalten holt Spehr nicht mehr aus Marx und Marcuse, sondern klaubt sie zusammen aus Queen-Songs, Pirelli-Werbesprüchen, dem Micky Maus-Buch Nr. 227, Camus-Texten, zufällig aufgeschnappten Unterhaltungen im ÖPNV und immer wieder dem Kino. Kapitelüberschriften lauten zum Beispiel verspielt: „Tote Kühe“, „Einssein mit dem Borg“ oder „Erlenmeyerkolben“. Der Erlenmeyerkolben stammt aus Akte X und ist Spehrs Metapher für die allgegenwärtige Durchmischung von emanzipatorischen und versklavenden Tendenzen. Erlenmeyer ist überall.

Normale Menschen sollten sich über diese Erkenntnis die Haare ausraufen. Doch Spehr, wir ahnen es längst, ist nicht normal. Schon in frühen Studiezeiten an der Münchner Uni litt er an einer Krankheit namens Optimismus. Wenn seine SHB bei den Stupa-Wahlen gruselig einbrach, tröstete er die Genossen: Als Koalitionär werden wir eine Rolle spielen. Auch heute noch glotzt er nicht versteinert auf das Falsche im Wahren, sondern auf das Wahre trotz allem Falschen. Und so kämpft sich sein Buch am Ende zu einer Trotzdem-Euphorie durch. Das klingt dann so: „Glauben Sie nicht an Löffel!“ bk

„Die Aliens sind unter uns“, 18 Mark, Lesung: heute, 19.30 Uhr im Paradox, Bernhardstr. 12