: Aikido gegen Wirtschaftsliberale
betr.: „Ein Schweizer Wirtschaftsliberaler reinen Wassers“, taz vom 6. 1. 00
Thomas Straubhaar „ärgert der dauernde Vorwurf, wir bekämen amerikanische Verhältnisse“. Ärgerlich an amerikanischen Verhältnissen in Europa ist, wenn nur die für europäische „Fat Cats“ profitablen Teile dieser Verhältnisse importiert werden – ohne die dazugehörigen Verpflichtungen.
Die Haare sträuben würden sich Straubhaar besonders, aber auch allen sonstigen Bürokratiehassern in Deutschland, wenn diese Leute die mit amerikanischen Freiheiten verbundenen beinharten Auflagen zu erfüllen hätten: zum Beispiel Steuerrecht, Haftungsrecht und Gewerberecht. Natürlich gibt es auch in den USA Verstöße – aber auch saftige Strafen. Aus wäre es insbesondere auch mit der Schlamperei im deutschen Geschäftsleben: „German accounting rules are about as cloudy as a mug of cloisterbrewed dunkel beer“ (International Herald Tribune, 20. 4. 1996). [...] Zur Einkommensspreizung in den USA gibt es als Gegenstück auch schärfere Einkommensüberwachung. Die Freiheitskämpfer der deutschen Wirtschaft bejammern gerne auch die bürokratischen Kontrollinstanzen in Deutschland, die im Vergleich zu den USA jedoch zahnlos, überfordert und unterausgestattet sind. Aber Freiheit für Unternehmer und „mehr Eigenverantwortung“ der Einzelnen möchte die selbst ernannte „Elite“ haben. Ob sie etwa unternehmerische „Accountability“ damit meinen? (Apropos Politiker und Verantwortung: Kohl wäre in den USA ein Krimineller.)
„Amerikanische Verhältnisse“ kann man schon deswegen nicht bekämpfen, weil sie ein extrem breites und komplexes Spektrum an Möglichkeiten darstellen. Wir sollten uns nicht weinerlich gegen Krankheiten aus den USA wehren, sondern uns endlich besser über die gleichzeitig dort angebotenen Gegengifte informieren. Mit tieferem Wissen über die USA gestärkt, können wir dann noch von den Japanern lernen und unseren sich so schrecklich gegängelt fühlenden Wirtschaftsliberalen mit Aikido zuleibe rücken: Nicht abblocken, sondern den Gegner in die Richtung seines Angriffes führen. Wer amerikanische Verhältnisse propagiert, soll mehr davon bekommen, als ihm lieb ist. Götz Kluge, München
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