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Kleines Glück im Plastikland

Die Nacht und der Sound: Die englische Band Bush spielte in der Columbiahalle

This is the night, this is the sound, this is a warm machine – was uns Gavin Rossdale da in dem Eröffnungssong des neuen Bush-Albums „The Science Of Things“ genau erzählen will, erschließt sich auch nicht bei mehrmalig intensivem Hören des Songs am heimischen Plattenspieler. Allerdings treffen diese Zeilen die Stimmung am Mittwochabend in der nahezu ausverkauften Columbiahalle sehr gut. Es scheint, als hätten alle viel zu lange auf dieses Konzert warten müssen – die Band, weil sie fünf lange Jahre nichts Richtiges von sich hat hören lassen, das Publikum aus demselben Grund und weil es von anderen Bands in Sachen Grunge nicht gerade verwöhnt wurde.

Eine Nacht, ein Sound, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit – vom ersten Song an wird im Publikum von vorne bis fast nach ganz hinten gerockt und geheadbangt, was (die mittlerweile meist kurzen) Haare und Knochen hergeben, und auch Rossdale lässt sich nicht lange bitten: Nach gut einer Viertelstunde versucht er sich an der ersten definitiven Verschmelzung mit seinen Fans. Das klappt zwar nicht so gut, wie er da rücklings versucht, auf den Händen des Publikums die Gitarre zu spielen, doch die Geste kommt an.

Bekannte Rituale, die aber hier mehr Sinn machen als bei vergleichbaren Konzerten. Denn Bush gehören seit ihrem ersten Auftauchen im Rockzirkus 1992 nicht zu den beliebtesten Bands des Planeten: Den Ruf, ein Nirvana-Klon zu sein, der „grunge by numbers“ macht, wurde die Band bis heute nicht los, und als Briten bekamen sie seinerzeit nur in den Staaten einen Albumvertrag.

Auf der Insel hatte man schließlich so seine Probleme mit diesem Ami-Rock, Brit-Pop gab’s noch nicht, und dann noch eine Grunge-Band aus dem eigenen Land! In den Staaten aber störte sich niemand an der soundsovielten Grunge-Kopie (file under Candlebox, Stone Temple Pilots, Sponge), und dort verkauften Bush so viele Alben, dass man bald auch im stolzen Großbritannien keinen Bogen mehr um sie machen konnte. Henry James hätte seine Freude gehabt an diesen britisch-amerikanischen Irrungen und Wirrungen! Auch in diesen Tagen fällt es schwer, Bush so was wie „Weiterentwicklung“ oder gar neue Sounds zu attestieren. Auf „The Science Of Things“ und auch an diesem Abend spielen sie Grunge, der klingt, als hätte ihn sich jemand im Labor ausgedacht. Das in diesem Sound mal die Kraft der Siebziger und die Energie von Punk und Hardcore steckte, spürt man bei ihnen kaum – einfacher Songaufbau, hübsche Melodien, ein paar schwere Riffs, da wird nicht lange gefackelt. Keine Übersteiger, Breaks oder verwirrende Tempowechsel, die Songs von Bush erfüllen die Erwartungen und tun niemand weh.

Doch solange es Hits gibt und es rockt und ein paar gute Gefühle provoziert werden, ist alles gut, auch Plastikgrunge. Und wem das nicht reicht, der hält sich an Sänger und Songschreiber Gavin Rossdale, dem Lover von No Doubts Gwen Stefani: Der sieht trotz Converse-Schuhen und einem weißen, aus der Worker-Jeans hängendem Hemd so aus, als sei er direkt aus der englischen Upper Class des 19. Jahrhunderts auf eine Rockbühne gesprungen. Rossdale sorgt für die großen Momente, entert immer wieder den Publikumsraum und kreiselt nach dem neuen Bush-Hit „The Chemical Between Us“ minutenlang mit seiner Gitarre entrückt um die eigene Achse – so was nennt man Bildersprache, gelernt ist gelernt. „Seid ihr jetzt alle glücklich?“, fragt er nach einem Song, der einzigen Ballade an diesem Abend, was natürlich alle bejahen. Eine ehrliche Antwort, ein ehrliches Konzert.

Als schließlich als Zugabe der Großhit „Swallowed“ kommt, hat die gesamte Nirvana- und Post-Grunge-Generation endgültig wieder zu sich selbst gefunden. Allerdings ist es nicht mehr die Tragik und die Wut eines Kurt Cobain, die hier bewegt, nicht das Pathos und die Schwermut eines Eddie Vedders, sondern das kleine, überschaubare Glück, einfach präsent zu sein, seinen Spaß zu haben und kein Slacker mehr sein zu müssen. Gerrit Bartels

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