■ Auf Augenhöhe: Tanzen in Berlin
■ Clubbing around the clock
„Gestern war ich tanzen, das war sehr schön, ich trank auch etwas und konnte kaum noch stehn“, singt Funny van Dannen. Jeder weiß: Berlin kann er nicht meinen. Denn sänge er von Berlin, müsste es heißen, „heute war ich tanzen“. Weil Berlin total hipp ist: Wer tanzen gehen will, braucht vor zwei Uhr nicht aus dem Haus zu gehen, und die beste Stimmung gibt es erst im Morgengrauen – nicht nur im Sommer.
Was aber machen unter Bewegungsmangel leidende Büro-Yuppies, wenn sie Freitagabend erschöpft nach Hause kommen? Wie überbrücken sie, die am liebsten einen Espresso schlürfen und sich sofort ins Nigthlife stürzen wollten, die Zeit zwischen „Tagesschau“ und Spätnachrichten? Richtig, sie gehen schlafen und stellen den Wecker auf zwei.
Natürlich habe ich es um zwei nicht aus dem Bett geschafft. Es wurde halb vier. Um so besser, eine gute Zeit, dachte ich, ziemlich munter. Ein Espresso, einen Grappa, ein bisschen Rasierwasser und Haargel – es konnte losgehen.
Um halb fünf kam ich beim Acud in Prenzlauer Berg an. Merkwürdige Stille, kein Mensch weit und breit, und das zur besten Partyzeit vor einem Club, vor dem sonst angetrunkende Gymniasasten Polizeiwagen mit Bierbüchsen bewerfen. Immerhin dröhnten hinter der Tür die Bässe. Old School meets New School Drum & Bass. Aber niemand öffnete, so laut ich auch versuchte, gegen den Lärm der Boxen anzuhämmern.
Gegen dreiviertel fünf rannte ich die Stufen zum Roten Salon in Mitte hinauf. Das ist die Location im Gebäude der Volksbühne, die ihre Türen erst um ein Uhr öffnet. Knapp vier Stunden später war tote Hose, nix mit Beats beyond the underground. Ein paar Leute kehrten zerbrochenes Glas zusammen, und ging wieder raus. Am Delicious Doughnuts waren keine SuperSukiSuki Donuts Golden Tokyo Night II mehr angesagt, sondern die Vorhänge dermaßen akkurat zugezogen, dass ich erst gar nicht wagte, an die Tür zu klopfen.
Viertel sechs: Vor dem WMF hörte es sich gut an: abgefahrene Auto-Reifen quietschten, besoffene Männer grölten, ein paar junge Frauen kreischten um die Wette. Die Nacht war nicht verloren: hard edged Bass-Radio-Mode. Na bitte Berlin, wo ein Wille ist, ist auch ein Club, dachte ich erleichtert. Ständig kamen mir Leute entgegen. Entgegen!
Am Einlass wollten die drei bulligen Typen einen Stempel sehen. „Den musste da hinten am Häuschen kaufen“, sagte einer grinsend. Ich eilte hin. Das Häuschen war leer. Wütend lief ich zurück: „Wollt ihr mich verarschen?“ „Hier ist gleich Schluss, aber du kannst gerne rein für ’nen Zehner.“ Ich fragte, wieso ich denn für eine halbe Stunde noch zehn Mark zahlen solle. „Merkst du nicht, wir machen nur Spaß?“, sagt einer mit russischem Akzent. Ich trollte mich.
Vor dem Icon war alles stockfinster. Keine Underground-Garage-and-Two-Step-Party. Nur ein paar Bierflaschen auf dem Bürgersteig. Kurz nach sechs landete ich im Sage Club – Funky Friday. Jetzt musste es schnell gehen, denn jede Minute konnte alles vorbei sein. Rasch die Jacke in eine Ecke, ein paar Bier gestürzt, um auf das Niveau der anderen zu kommen, und die blanke Aluminium-Tanzfläche gehörte mir – glücklicherweise nicht allein.
Irgendwann zwischen sieben und halb acht ging das Licht an. Leider war meine Jacke verschwunden, dabei hatte ich eine ganz olle angezogen, die mit Sicherheit niemand klaut. Das erzählte ich auch an der Garderobe, wo man sie mir nach langen Debatten um Farbe, Inhalt (ein Feuerzeug) und Fundort aushändigte. „Musst du immer abgeben“, sagte ein junger Türke mit wichtiger Mine, der die Jacke vorher eingesammelt hatte.
Auf dem Gang begegneten mir zwei blonde Schönheiten mit kurzen Röcken und noch kürzeren Tops. „Willst du noch in den Kit Kat Club?“, lallte eine. Sex Trance Party, Einlass nur im sexual fantasy outfit. Ich war baff. Noch bevor ich mir überlegen konnte, ob ich denn überhaupt die nötige Unterwäsche besitze, stellte sich heraus, dass dies keine Einladung in den bekannten SM-Club war. Die Frau, die ihre Freundin Bonny nannte, versuchte nur, mich an einen ziemlich betrunkenen Herren in Lederjacke zu verkuppeln, der sie gerade dazu überreden wollte, ihn in den Kit Kat Club zu begleiten.
Draußen regnete es in Strömen. Es wurde langsam hell, als ich etwas Drunk Food am Dönerstand aß. Zu Hause angekommen, fiel ich sofort ins Bett – nur nicht in Schlaf. Richard Rother
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