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Ein Spiel wie eine Wundertüte

Das 1:2 einer höflich schwachen DFB-Elf gegen die Perfektionstechniker aus Holland gibt Anlass, an Zukünfte aller Art zu glauben ■ Aus Amsterdam Bernd Müllender

Deutschsein allein reicht nicht mehr für Erfolg: So gesehen ein äußerst gelungener Abend für die Gastgeber aus Holland

Doch, dieser Zoltan Sebescen konnte einem Leid tun. Herausgerissen aus seinem beschaulichen Leben als Gelegenheitsfußballer beim VfL Wolfsburg, war der 24-Jährige als erfahrungsfreiester Novize (zwei Ganzzeiteinsätze Bundesliga) der neueren Fußball-Geschichte in Erich Ribbecks DFB-Combo berufen worden. Und durfte gleich ran. Und dann machte der Arme gegen Boudewijn Zenden Fehler 1, der zum 1:0 führte, und den fortgeschrittenen Fehler 2, der zum 2:1 führte. Genau gesagt: Anfängerfehler, Stellungsfehler, Tiefschlafdeppertentum. Man sah sein Gesicht: leidend, enttäuscht, gramig.

Zur Halbzeit war er dann ausgewechselt worden – gut, dass das vorher so angekündigt war. Wahrscheinlich wäre Sebescen sonst zum Arbeitsamt gegangen zwecks Umschulung. Weniger Leid durfte einem Erich Ribbeck tun. „Um von meinen Fehlern zu sprechen“, gab sich der kühne Nominator hinterher reumütig, „Zoltans Aufstellung war einer.“ Das gibt einen Pluspunkt für Ehrlichkeit. Und einen Minuspunkt für die Hoffnung als solche, denn neues Personal wird nun schwerer vermittelbar. Sebescens Name steht fortan für Adenauers Diktum: Keine Experimente.

Die DFB-Darbietung von Amsterdam taugte indes nicht nur für neue Gefühle (Mitleid), sondern für Hochrechnungen und Ergebnisfantasien: „Natürlich“, dozierte Hollands Coach Frank Rijkaard, der mit zarten 37 Jahren jünger ist als Feldveteran Matthäus (38,92), „hätte es auch 5:1 ausgehen können.“ Ruud van Nistelrooy, der quirlige Angreifer, sprach von einem 6:1, was allein er hätte bewerkstelligen können. Und der viel beschäftigte Torwart Oliver Kahn fand sogar, „auch bei 5:0 zur Halbzeit hätten wir uns nicht beschweren können“. Ja, vorgeführt worden waren sie zeitweise von einem pfiffigen Kombinationskombinat um den überragenden Kapitän Edgar Davids, mit Jaap Stam, der Oliver Bierhoff nicht mal ein Kopfballduell im Irgendwo gewinnen ließ, und den drei sausewindigen Angreifern.

Das knappe 1:2 verdient so gesehen Respekt: Die deutsche Elf ist doch schlagbar, auch vorführbar, aber schwer per Resultat blamierbar. Deutschsein allein reicht nicht mehr für Erfolg: So gesehen ein gelungener Abend für die Gastgeber, die in der 2. Hälfte mit halber Kraft die Wirkweise ihrer Überlegenheit testeten und durch Lässigkeit provozierten. Vielleicht ist ihre Überlegenheit auch ihr Problem. Es schien, als haben die Holländer auf mehr Spielzüge verzichtet, als die Deutschen überhaupt versucht haben.

Einziger Gefahrenherd im Lande Ribbeckien: Eckbälle, Freistöße, Mehmet Scholl. Ribbecks erste Erkenntnis lautete: „Nach dem Spiel kann ich das Gleiche sagen wie vorher.“ Nämlich wenig: Er habe „festgestellt“, dass die Holländer „zum Teil sehr schnell sind“. Er wolle auch „nicht verkennen“, dass „die Niederlande manch gute Möglichkeit hatten“. Viele ihrer Spieler seien „schon seit 1996 dabei“, also handele es sich „um eine gewachsene Mannschaft“.

Der spielerisch zwergenwüchsige Gegner schenkte den Gastgebern Glückseligkeit: Erstmals seit 1925 die Deutschen daheim verhauen. Und erstmals seit dem 10. 10. 98 nach elf erfolglosen Versuchen überhaupt mal wieder gewonnen. Gegner wie Ghana, Portugal, Marokko oder Belgien sind offenbar schwerer zu bezwingen. Und jetzt bleiben wirklich nur gut hundert Tage tumber deutscher Einsamkeit bis zur Euro 2000? Das Spiel hätte neuer Bescheidenheit dienen können, um den „deutschen Überlegenheitskomplex“ (so der spanische Fußballphilosoph Xavier Marias) zu lösen. Nur müssen die Spieler das noch verstehen.

Oliver Kahn sprach ihn ungefragt aus, den Begriff von „den deutschen Tugenden“, mit denen es „im Turnier“ schon werde; „da können wir jeden schlagen“. Kapitän Bierhoff beabsichtigt dann „Wille und Kampf in die Waagschale zu werfen“. Elder Groundsman Lothar Matthäus glaubt gar immer noch: „Ich glaube nicht, dass wir die schlechteren Spieler haben.“ Markus Babbel bewältigt seine Wahrnehmungsprobleme nach der Tanzlehrstunde durch das Innenstürmerduo Kluivert/Nistelrooij mit exklusiven Einsichten: „Die Niederländer hatten große Probleme in der Rückwärtsbewegung.“ EM-Favorit? „Nein, die nicht, eher Frankreich, England. Und wir.“ Nichts hatte ihm bei den Gastgebern gefallen: „Der Platz war sehr schlecht.“ Zur grandiosen AmsterdamArena: „Es gibt schönere Stadien.“ Und wenn wir „vorher gewusst hätten, dass die das Dach zumachen: Ich mag Hallenfußball nicht.“

Wo ist Hoffnung? Bei den deutschen Fans: Ganze 500 hatten personenregistrierte Karten bekommen, wodurch drei Viertel ihres ohnehin bescheidenen Blöckleins beim orangefarbenen Massen-Event (offizielle Euro-Motto „100 Prozent Oranje“) frei blieben. Die Fanabsenz war Teil des Sicherheitskonzeptes durch Ausgrenzung, die, so die deutschen Behörden, „hohe Signalwirkung“ für die Euro 2000 haben sollte: An allen Autobahnen waren alle obligatorisch kontrolliert worden (erfolglos, also erfolgreich). In den Zügen nach Amsterdam waren zeitweilig pro Wagen mehr Grenzschützer und Kamerateams als Fahrgäste. Show-Generalprobe gelungen. Jetzt folgen noch Sperrvermerke in Ausweisen und Lauschangriffe auf Mobiltelefone: 1984 dank Euro 2000.

Auffallend war, dass Erich Ribbecks Ausführungen vor der internationalen Presse nicht für übersetzenswürdig befunden wurden. Aber Ribbeck und Fremdsprache, das ist ohnehin ein Thema für sich: Ihm war der niederländische Begriff Ziekenhuis (Krankenhaus) aufgefallen: „Das erinnert mich an Seuchen“, hatte der Hobbyphilologe Ribbeck belustigt wissen lassen. Im Wörterbuch stehen auch die Übersetzungen für Intensivstation, für Spielkunstkoma, Kombinationsphobie, Taktik und Tictac. Mannschaft heißt Elftal. Im Niederländischen erinnert einen das an Fußball.

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