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Gegeneinander gegen Gewalt

Etwa 160.000 Menschen demonstrierten am Wochenende in Nordspanien gegen die neuen ETA-Anschläge. Die Demokraten sind im Protest gespalten ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Selbst die Familie des ETA-Opfers Fernando Buesa ist zerrissen.Ein Bruder demonstrierte mit den Nationalisten, der Rest mit den Genossen

Javier Rojo war erregt. „Wo ist der Präsident der Autonomieregierung?“, rief der Nachfolger des von der ETA ermordeten Sprechers der Sozialisten im Autonomieparlament, Fernando Buesa, mehrmals ins Mikrofon. Und die Menge reagierte. Knapp 100.000 Menschen auf der Plaza de la Virgen Blanca in der baskischen Hauptstadt Vitoria skandierten: „Ibarretxe – Rücktritt!“ Gemeint war der Regierungschef Juan José Ibarretxe. Aber der war längst weg, eine halbe Stunde vorher mit den Anhängern seiner Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) durch die Stadt marschiert. Beide Züge waren eine Absage an die Gewalt der Separatistengruppe ETA. Diese hatte am Dienstag mit einer Autobombe den 53-jährigen Buesa, der es 1990 bis 1994 bis zum stellvertretenden Präsidenten der Autonomieregierung gebracht hatte, und dessen Leibwächter getötet.

Die Ablehnung der ETA-Gewalt – eine Gemeinsamkeit, die seit dieser Woche erstmals nicht mehr genügt, um zusammen auf die Straße zu gehen. Seit die ETA im vergangenen Dezember nach 14 Monaten den einseitigen Waffenstillstand aufkündigte und dreimal mörderisch zuschlug, sind die baskischen Demokraten gespaltener denn je. Die Sozialisten der PSE/PSOE, die in Madrid regierende Volkspartei (PP) sowie zahlreiche Pazifistengruppen bilden einen Block. Die Nationalisten der PNV und deren Regierungspartner Baskische Solidarität (EA) den anderen. Selbst die Familie Buesas ist zerrissen. Ein Bruder demonstrierte mit Ibarretxe, der Rest mit den Genossen des Ermordeten.

Die nicht nationalistischen Parteien machen die PNV und die baskische Regierung für den Mord an Buesa mitverantwortlich. Zu lange hätten sie am Pakt mit Euskal Herritarrok (EH) festgehalten. Dieses linksnationalistische Wahlbündnis wird vom politischen Arm der ETA, Herri Batasuna (HB), gesteuert. Als die PNV selbst nach der ersten Bombe nach Ende des Waffenstillstandes gegen einen Militäroffizier in Madrid nicht mit EH brach, habe sie die bewaffneten Separatisten ermutigt, weiterzumachen. „Es gibt keine Entschuldigung für die PNV und all diejenigen, die glauben, zur Demokratie und zum Faschismus auf die gleiche Distanz gehen zu können“, erklärte der PSOE-Vorsitzende Joaquín Almunia am Sarge von Buesa.

Zwar beendete Ibarretxe nach dem erneuten ETA-Anschlag seine institutionellen Beziehungen mit EH und damit mit HB, doch die PNV-Parteispitze hält an ihren Kontakten mit den Politikern aus dem ETA-Umfeld standhaft fest. „Das ist nicht der Moment, alle Brücken zu kappen“, erklärte Vorstandssprecher Joseba Egibar. Er war auf der von 60.000 Menschen besuchten Trauerfeier am Mittwoch ebenso abwesend wie Parteichef Xabier Arzalluz. Nur Regierungschef Ibarretxe selbst lies sich blicken. Eine Entscheidung, die er wohl schnell bereute. Er entkam dem Volkszorn nur knapp durch die Hintertür der Kathedrale von Vitoria.

Anstatt daraus zu lernen, verschanzt sich die PNV noch mehr hinter ihrer Politik der nationalistischen Einheit. Die Proteste gegen die Autonomieregierung sind für Arzalluz „nichts weiter als ein Wahlkampfspektakel“ für die gesamtspanischen Parlamentswahlen am 12. März, das von den Madrider Parteizentralen und von der Regierung des Konservativen José María Aznar organisiert worden sei. Der militärische Geheimdienst habe die Schilder gegen Ibarretxe verteilen lassen, krönt Arzalluz seine realitätsfremde Wahrnehmung, anstatt das eigene Scheitern einzugestehen.

Arzalluz und seine rechte Hand Egibar wollen den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung nicht wahrhaben. Sie haben alles auf eine Karte gesetzt. Seit Jahren arbeiteten die Nationalisten auf eine Befriedung des Baskenlandes hin. Am Vorabend des Waffenstillstandes von ETA im September 1998 gelang es ihnen, 23 Parteien, Gewerkschaften und gesellschaftliche Organisationen an einen Tisch zu bringen. Der so genannte Pakt von Lizarra schrieb sich die „Dialoglösung des Konfliktes“ auf die Fahne. ETA schwenkte ein und „übergab die Initiative an die Politik“. Der politische Arm ETAs, HB, wurde zum ersten Mal in die Regierungsverantwortung genommen. Auch wenn die Linksnationalisten nicht im Kabinett vertreten sind, verschafften sie bisher doch Ibarretxes Minderheitsregierung die nötigen Stimmen im Parlament.

Zwar schwiegen die Waffen der ETA, doch ihre jugendlichen Anhänger verübten weiter Brandanschläge auf Autos und Parteibüros, insgesamt knapp 1.500-mal.

Trotzdem weigerte sich die PNV-Regierung, ihre radikalen Partner zu einer Absage an die Gewalt zu zwingen, oder ihr die Zusammenarbeit aufzukündigen. Der schärfste Kritiker dieser Politik war Fernando Buesa, der jetzt wegen diese Haltung sterben musste.

Doch der ETA war die laxe Haltung der PNV nicht genug. Sie verlangte den endgültigen Bruch mit Madrid. Als es nicht dazu kam, kehrte sie im Dezember zu den Waffen zurück. Die PNV sitzt seither vor einem Scherbenhaufen. Ein Kursschwenk käme einer persönlichen Niederlage von Arzalluz gleich und würde die innerparteiliche Opposition stärken, die seit dem Bündnisschluss mit den radikalen Nationalisten immer selbstbewusster auftritt.

Die Krise ist längst nicht ausgestanden. Schon in den nächsten Tagen könnte sich der PNV-Mann Ibarretxe im baskischen Parlament einem Misstrauensvotum ausgesetzt sehen. Falls sich EH der Stimme enthält, wäre dies das Ende der Regierung.

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