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Innenperspektive gebietet Klarstellung

betr.: „Schulkampf, erste Runde“ und „In die Diskussion hineingezwungen“, taz vom 15. 2. 00

Es ist wohlfeil, das dreigliedrige bayerische Schulsystem als Kuriosum der deutschen Bildungslandschaft in die Ecke zu stellen. In Berlin und anderwärts mag das angehen, die Innenperspektive gebietet jedoch Klartstellungen:

1. Es ist definitiv falsch, so zu tun, als könnten nach vier Jahren Grundschule nur ausnahmsweise unterschiedliche Begabungen von Schulkindern (es geht ja nicht um intelligent oder weniger intelligent) erkannt und differenziert werden. Die Erfahrung ist unzweifelhaft: In bei weitem den meisten Fällen werden nach der Grundschule tragfähige Entscheidungen getroffen; die sog. „Spätentwickler“ sind eine ganz kleine Minderheit.

2. Zeigt sich bei einem Schüler nach Abschluss der Haupt- oder Realschule Interesse und Begabung für das Abitur, so stehen dafür über BOS/FOS vielfältige Wege offen. Das Gymnasium ist keineswegs allein der Königsweg. Umgekehrt gilt: Die wenigsten Schüler, die am Gymnasium scheitern, scheitern aus mangelnder Begabung resp. einer falschen Schulwahl, sondern aufgrund häuslicher Probleme, fehlendem Leistungswillen etc. Schüler, die trotz fehlender Begabung am Gymnasium landen, können bei aufmerksamer Beobachtung schon früh in der fünften Klasse als ungeeignet erkannt werden und an eine geeignete Schule wechseln. Wenn das dann nicht geschieht, liegt es regelmäßig am falschen Ehrgeiz der Eltern – und gerade deren Willen soll durch das Volksbegehren gestärkt werden.

3. Durchfaller- und Abiturientenquote sprechen nicht gegen, sondern für das bayerische Gymnasium: Hier besteht nur, wer über die Begabung hinaus über das notwendige Maß an Durchhaltevermögen und Leistungswillen verfügt – nicht die geringsten Qualitäten im Berufsleben. Anfängerzahlen am Gymnasium von 50 Prozent des Jahrgangs und Abiturientenquoten bei 30 Prozent und mehr sind nur zu erreichen, wenn das Gymnasium kein Gymnasium ist. In Aschaffenburg wechseln viele Schüler, die das Abitur nicht zu erreichen drohen, ins benachbarte Hessen und machen dort gute Abiture – warum wohl?!

[...] 4. Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband ist, seinem irreführenden Namen zum Trotz, keine Vertretung der bayerischen Lehrer im Allgemeinen, sondern Vertretung der Volksschullehrer. Die Volksschullehrer fürchten bei Einführung der R6, dass ihnen nur noch minderbegabte Schüler an den Schulen verbleiben. Auch die für die R6 bereitgestellten Millionenbeträge sollen den Volksschulen zu Gute kommen: über die an den Hauptschulen angesiedelte Aufbaustufe.

Wesentlich geht es den Betreibern des Volksbegehrens ums Geld. Der Rest ist linke Ideologie. Matthias Ludolph, Lehrer am Gym-

nasium mit Lehrauftrag an der Grundschule, Aschaffenburg

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