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Röbers Lehre von der Dreifaltigkeit

Hertha BSC Berlin will nach dem 1:1 in der Champions League gegen Sparta Prag in der Bundesliga mit Kampf, Disziplin und Kompaktheit punkten ■ Aus Berlin Markus Völker

Der unbedarfte Neuling im Berliner Olympiastadion, der von weißblauer Folkloristik noch Unberührte, könnte beim Studium der Fans von Hertha BSC schnell den Eindruck gewinnen, jene Anhänger hätten die Orthostase, also die evolutionäre Aufrichtung des menschlichen Körpers, nicht schon vor einigen tausend Jahren, sondern erst im vergangenen Jahrhundert vollzogen.

Der Berliner Fan unterhält zu seinem Verein eine zerrüttete, neurotische Beziehung, wobei das Wort Beziehung euphemistisch zu verstehen ist. Dem Hertha-Fan mangelt es an Nachsicht, an Geduld, an Empathie, an Wohlwollen, schlicht an dem, worauf sich eine gute Partnerschaft gründet. Gelingt ein Spielzug nicht oder verdribbelt sich, sagen wir, Michael Preetz oder Sebastian Deisler, so bricht er gleich den Stab über sein Team. Das geschieht durch lautstarke Artikulation seines Unmuts, der sich so vehement Bahn bricht, dass es die eustachische Röhre im Innenohr verkleistert und das Trommelfell vom Nebenmann in gefährlichen Amplituden schwingt.

Während des Spiels in der Champions League zwischen Hertha und Sparta Prag auf heimischem Grund entrüsteten sich die Zuschauer in der üblichen Weise. Die Herthaner spielten sich dabei auf den Part des Schlüsselreizes ein, der ein Lamento auf den Rängen auslöst. Es gelang nicht viel im Spiel. Sixten Veit schoss ein Tor in der 45. Minute. Horst Siegl gelang in der zweiten Halbzeit der Ausgleich für die Tschechen.

So negativ wie die Zuschauer sah Trainer Jürgen Röber das Match naturgemäß nicht. Nach der Pleite in Leverkusen hatte er seine Eleven in die Defensiv-Klippschule geschickt. Es galt, mag der Fußballlehrer beim Nachsitzen verkündet haben, die Röbersche Dreifaltigkeitslehre zu exekutieren, hinten „kompakt, diszipliniert und konzentriert“ zu stehen. Und natürlich „entschlossen in die Zweikämpfe zu gehen“. Und, logisch, „über den Kampf zum Spiel zu finden“.

Röbers Schützlinge machten die Hausaufgaben brav und beflissen. Man freut sich auf Klassenarbeiten zum Thema kreatives und offensives Spiel. Diese Lektionen stehen vorerst noch nicht auf dem Stundenplan, denn, befand Manager Dieter Hoeneß, zum jetzigen Zeitpunkt gehe es um eine stabile Basis. Oder um positive Kopfnoten in den Sparten Disziplin, Konzentration, Kampfestugend und Engagement.

In der nächsten Unterrichtsstunde will Hoeneß den Programmpunkt „Wie wir uns richtig aus der Umklammerung des Gegners befreien“ ansetzen. Da gab es am Donnerstagabend lediglich ein Ungenügend.

Sparta entwickelte zwar nur mäßigen Druck, Hertha trieb er trotzdem in die eigene Hälfte. Ob der wenig entschlossenen Angriffe der Prager kam Röber die Erkenntnis: „Die hätten ewig spielen können, ohne ein Tor zu schießen, wenn ...“ Ja, wenn Dariusz Wosz nicht einen Fehler auf der linken Außenbahn begangen hätte, der nach Bekunden des Übungsleiters den Ausgleich verursachte. Wosz sagte: „Immerhin habe ich ein Tor vorbereitet.“

Es war kein „Champagnerspiel“ (Hoeneß), kein Fußballfest wie jüngst im Bernabeu-Stadion zu Madrid. Hertha hatte anderes als brasilianischen Zauber im Sinn. Nach dem Remis sind die Berliner wohl von der nächsten Runde im europäischen Meister-Cup ausgeschlossen. Kein Grund, wirklich traurig zu sein, kann Hertha nun ohne Ablenkungen Kurs auf die Europapokalplätze in der Bundesligatabelle nehmen. Die kommenden Spiele gegen Unterhaching und Duisburg erhalten daher den Status von Schlüsselspielen. Sie entscheiden, in welche Richtung der Weg Herthas führt.

Es sind die Basics, die bei Hertha aufgegriffen werden. Einer preußophilen Auslegung des Ballsports werden alle Schnörkel, aller Zierrat, jede Sophistikation geopfert. Der Brasilianer Alex Alves sitzt auf der Bank. Techniker wie Deisler und Wosz machen sich im schroffen Spiel fast wie Fremdkörper aus. Das muss so sein, sagen Röber und Hoeneß. Die „Klatsche von Leverkusen“, jene „Orientierungslosigkeit im Defensivbereich“ ließen alte Tugenden auf den Plan treten.

„Wenn wir mit dieser Einstellung weiterspielen, werden wir auch wieder Erfolg haben“, sagte der Übungsleiter. Die Fans beurteilten die Zufunftsaussichten skeptischer. Den Kabinengang der Kicker begleiteten sie mit gellenden Pfiffen – Unmutsbekundungen, die die Hertha-Offiziellen nicht beunruhigten. Man müsse die Fans verstehen. Verwöhnt seien sie nach den letzjährigen Erfolgen, beschwichtigte man. Und Röber sagte dann noch: „Dass wir besser Fußball spielen können und müssen, das wissen wir.“ Herthas Hardcore-Atavisten sind sich da nicht so sicher.

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