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Trondheimer Elegien

Epische Größe: Motorpsycho sind die einflussreichste Band Skandinaviens. Ihre Epigonen ehren sie mit ein Tribute-Album

Das alte Jahrtausend wurde mit Motorpsycho verabschiedet. Jedenfalls in Norwegen. Jedenfalls im Radiosender P 3. Weil die Hörer „Vortex Surfer“ per Internet zum besten Song aller Zeiten kürten, wurde er 24 Stunden lang nonstop gesendet.

Dem Trio aus Trondheim sichert das einen Platz in der Geschichte der Popmusik, irgendwie. Was ja nicht schlecht ist, wenn man sich als „möglicherweise größenwahnsinnig“ einstuft, wie Bassist und Songschreiber Bent Säther zugibt. Er muss allerdings lachen dabei. „Rock ist nun mal überlebensgroß.“ Und weil Größe viel Platz braucht, dauerte die Musik von Motorpsycho immer sehr lang. Mancher Song mehr als 15 Minuten.

Doch diesmal ist alles anders. „Let Them Eat Cake“, das letzte Werk der drei, wurde Takt für Takt durcharrangiert – und beginnt mit einem Streicher-Riff. Keine Gitarre, sondern Geigen. „Wir hatten den Hardrock ausgereizt“, sagt Schlagzeuger Hakon Gebhardt, und hätten sie einfach weitergemacht, „wären wir zu einer Karikatur unserer selbst geworden“. So darf Gitarrist Hans Magnus Ryan diesmal meistens nur akustisch spielen, während Waldhörner und Posaunen die Atmosphäre der trotz starker Verkürzung immer noch recht epischen Songs bestimmen.

Schon früher waren Motorpsycho eine Anomalie: Eine Rockband, die als modern galt. Und wir reden hier von Rock, nicht etwa von Crossover-Bands oder den Chemical Brothers. Hin und wieder haben sie zwar mal einen Sampler eingesetzt, aber nur, um sich die Arbeit zu vereinfachen, niemals als wirklich hörbares Klangelement. „Ich glaube zwar nicht, dass ich den Unterschied zwischen einem Sample und dem echten Instrument tatsächlich hören könnte“, sagt Säther, „aber einfach nur auf einen Knopf drücken ist mir zu einfach.“ Sie sind überzeugte Handwerker, denn „um etwas Neues zu erschaffen, muss man sein Werkzeug gut beherrschen“. Mit dem Handwerk kommt allerdings das Wissen um die eigene Beschränkung und damit die Bescheidenheit. „Das Eigenleben des Songs zu finden“, benennt Säther die vornehmste Aufgabe der seit zehn Jahren unveränderten Einheit. Dieses Treibenlassen hat sie zur aktuell einflussreichsten Band Skandinaviens werden lassen.

Parallel zu „Let Them Eat Cake“ erscheint eine Tribute-Platte namens „Self Indulgent Mono-Minds“, auf der sich 28 teils nicht sonderlich namhafte, teils völlig unbekannte Bands aus dem Norden an ihrem Lieblingsstück von Motorpsycho vergreifen. Dass es eine Doppel-CD wurde, war man dem Gegenstand wohl schuldig. Vielleicht drückt sich die Moderne ja nicht im Sound aus, sondern in dieser bescheidenen Herangehensweise an Musik.

Im neuen Jahrhundert wütet endgültig kein selbstbewusster Schöpfergeist mehr. Die Musik selbst will entstehen und sucht sich Opfer, durch die sie zum Leben kommt. So formulieren Motorpsycho ihre Herangehensweise, und die unterscheidet sich nicht von der von Mouse on Mars oder anderen Elektronikern. Ihre halbstündigen Live-Versionen mancher Songs sind keine egomanischen Wichsereien, sondern eher Dub-Experimente aus Gitarren-Rock und -Pop. Aber: Auch für die neue Platte waren eigentlich schon 25 Songs fast fertig, bevor gnadenlos aussortiert wurde.

Thomas Winkler Motorpsycho: „Let Them Eat Cake“ (Stickman/Indigo)„Self Indulgent Mono-Minds – A Tribute to Motorpsycho“ (Supermodern/Indigo) Tour: 31. 3. Bremen, 1. 4. Hamburg, 2. 4. Bielefeld, 4. 4. München, 5. 4. Wien, 24. 4. Köln, 25. 4. Darmstadt, 26. 4. Leipzig, 27. 4. Berlin

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