: Verbotene Lieben veredeln
Warum Melibea und Calisto nicht richtig miteinander können: Antje Borchardt und Matthias Merkle inszenieren die 500 Jahre alte Tragikomödie „Celestina“ als siebenteilige Soap im Tacheles Theater
von STEFAN STREHLER
Eine Seifenoper im Theater. Was soll das denn? Gerade froh, der Dramaturgie des Fernsehens für einen Abend entkommen zu sein, soll man sich jetzt auch im Theater Warum-Anna-nicht-mit-Benny-kann-Geschichten angucken?!
Nicht als aufklärerischer Klamauk für Fernsehverächter (damit die auch mal was zum Lachen haben), sondern als ernst gemeinte Tragikkomödie. Aus einem spanischen Stoff, der über 500 Jahre alt ist. Sieben Folgen in vier Wochen. Da tickt doch jemand nicht richtig? Verrückt oder naiv muss man wohl sein, wenn man in der Berliner Off-Theater-Landschaft ein abwegiges Großprojekt durchführt, ohne eine Mark öffentliche Unterstützung dafür zu bekommen. Naiv sind Antje Borchardt, die Dramaturgin, und Matthias Merkle, der Regisseur, sicher nicht. Dafür sind die beiden zu lange im Geschäft.
Von 1993 bis 1998 betrieben sie das „Theater im Schokoladen“ (gemeinsam mit Barbara Schwarz) als eine der spannendsten Bühnen in der Stadt. Merkles Inszenierungen von „Hamletmaschine“, „Magic Afternoon“ und „Penthesilea“ gehörten zu den Höhepunkten der Off-Szene in den 90er-Jahren. Als sie im Herbst 1998 mit programmatischem Trommelwirbel ein „Dramatisches Theater“ gründeten, war das der Versuch, die Erfahrungen der letzten Jahre zu einem schlüssigen Spielbetriebkonzept auszubauen.
Eine Barock-Spielzeit wurde ausgerufen. Die schummerige Theaterbar im Schokoladen wurde glamouröser gestaltet, und ein knallroter Theatervorhang signalisierte: Hier wird Theater als sinnlicher Akt begriffen. Und mehr als das. In Anlehnung an Joseph Beuys sollte „Politik gesungen werden“. Die erste Aufführung war eine charmante Provokation. Die hinreißende Henriette Heinze legte sich zu Billy-Holiday-Musik auf den Boden und sagte den ganzen Abend kein Wort. „Die dramatische Handlung“, hieß es damals in der Gründungserklärung, „fußt auf zwei Stützen: dem Text und dem Schauspieler, der diesen Text spricht.“ Der Text, der am Eröffnungsabend fehlte, sollte später im Barockdrama „Celestina“ eine zentrale Rolle spielen. Nur vorläufig kam es dazu nicht. Wegen ausgebliebener Fördergelder musste das Dramatische Theater aus dem Schokoladen wieder ausziehen, bevor es richtig angefangen hatte.
Ein gutes Jahr später wird das lang gehegte Projekt im Tacheles verwirklicht. „Celestina“, vom Spanier Fernando de Rojas um 1500 geschrieben, wurde vollständig in Deutschland noch nie aufgeführt. Wenn man den 21 Akte umfassenden Text durchblättert, versteht man auch, warum. Eine gewöhnliche Junge-trifft-Mädchen-Liebesgeschichte als Rede-Epos. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Kupplerin Celestina (Saskia Taeger), die im Auftrag des Edelmanns Calisto (Georg Otto) die junge Dame Melibea (Henriette Heinze) für ihn gewinnen soll. Dies gestaltet sich erst schwierig, dann erfolgreich. Aufgrund von Verwicklungen, die durch missgünstige Diener ausgelöst werden, entwickelt sich das Glück zur Tragödie. Am Ende müssen alle sterben.
Dieses Drama wird fast minutiös zelebriert. Jede Regung der Gedanken wird in Sätze übertragen, die von Eleganz und Deftigkeit gleichermaßen geformt sind. Da damals von Psychologie noch niemand wusste, folgen die Akteure einer schicksalhaften Logik. Sie haben klare Ziele, Moralvorstellungen und Schwächen und begegnen sich mit einer nackten Ehrlichkeit. Die fast zwanghafte Positionierung der Figuren macht auch die Faszination dieses Schauspiels aus. Wie Billardkugeln knallen die Akteure aufeinander und gehen schließlich miteinander unter.
Haltung bewahren ist hier keine Frage ästhetischer Lebensführung, sondern eine naturhafte Überzeugung. Die altertümliche, einfache Sprache und das authentische Spiel ergänzen sich zu einer Kunstform, wie man sie so weder vom Theater noch vom Fernsehen kennt. Borchardt und Merkle haben den Ehrgeiz, diese neue Kunstform ins Theater zu bringen. Zwischen Barbetrieb, Schauspielkunst und barockem Zielkonflikt soll die Seifenoper mit angemessenem Ernst veredelt werden.
„die celestina.“ bis 1. 4. im Tacheles-Theater. Von Di bis Sa um 19.45 Uhr und 22.15 Uhr.
Premiere mit allen 7 Folgen am Stück heute um 17 Uhr.
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