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Verschrobenes Weltbild

betr.: „Multikulti: kein Dogma“ von Sibylle Tönnies, taz vom 14. 3. 00

„Sicherheit und Ordnung lassen sich in dieser Region [dem Balkan] nur dadurch herstellen, dass sich die Ethnien meiden.“ Hurra, da feiert Huntingtons „clash of civilisation“ fröhliche Urständ.

Wer glaubte, diese reaktionäre Ideologie des quasi natürlichen Aufeinanderprallens ethnischer Gegensätze sei nur noch die Sache verschnarchter Geschichtslehrer, sieht sich getäuscht. Tönnies macht daraus sozusagen einen taufrischen Knaller, sie versteigt sich gar in die philosophische Feststellung, der Geist müsse sich gegen die Natur durchsetzen, solle eine ethnisch heterogene Gesellschaft möglich sein. Dabei ist für Tönnies die Fremdenfeindlichkeit der „natürlich Ausgangspunkt“. Brandschatzende Nazihorden, ethnische „Säuberungen“, das ist dann wohl alles von der Natur gegeben. In der Vorstellung der Autorin gibt es albanische Minderheiten, die „über, unter und neben sich feindliche Serben vorfinden“. Kommt da nur mir die Assoziation von bedrohlichem Ungeziefer?

[. . .] Sibylle Tönnies, die früher immer noch die Bezeichnung „Pazifistin“ in der taz angedichtet wurde, entdeckt dann die Nato-Truppen, die die verfeindeten Ethnien schön sauber auseinander dividiert. Deren Aktion „speist sich ideologisch aus politischer Korrektheit“. Nein, wirklich, so steht’s im Text.

Und dann kommt mal wieder die von Tönnies seit Jahren geforderte Weltpolizei ins Spiel. Und diesen Part soll nun die Nato spielen. Die Bösewichter und Dunkelmänner dieser Welt sollen dann wohl durch völkerrechtswidrige Aktionen wie den Angriffskrieg gegen Jugoslawien gejagt werden. Welch verschrobenes Weltbild spiegeln solche Vorstellungen. MARTIN BEINHAUER, Münster

Fremdenfeindlichkeit als „natürlicher Ausgangspunkt“: Na, fröhliche Reise . . .

Mit ihrer unreflektierten Wiedergabe dieser Lieblings-Propagandalüge rassistischer Populisten aller Couleur unterstützt Sibylle Tönnies in unerträglicher Weise deren „Argumentation“. Während Vorsicht gegenüber Unbekannten durchaus in den Menschen verankert ist – ebenso wie übrigens die Neugier –, tritt „Fremdenfeindlichkeit“ als Ergebnis bitterer historischer Erfahrungen und/oder als Ergebnis gezielter Hetzpropaganda bzw. Desinformation auf. Sie ist somit eine gesellschaftliche Fehlentwicklung, die im einzelnen Individuum immer nur durch die den Verstand lähmende Angst funktioniert.

Die zahlreichen großen und unendlich brutalen Massaker und Völkermorde, denen wir allein im vergangenen Jahrzehnt so häufig zugesehen haben, waren sämtlich detailliert geplant (inklusive Hetzkampagnen) und sollten den machtpolitischen Interessen ihrer Verursacher dienen. Ein Element des Plans war es jeweils, als Motiv für die Taten eine kollektiv ausgelebte „Fremdenfeindlichkeit“ vorzuschieben, um die wahren Motive zu verschleiern, zugleich eine gewisse Hilflosigkeit der so genannten internationalen „Gemeinschaft“ zu bewirken und so deren Engagement für eine Intervention zu lähmen. Wie absolut unzutreffend überhaupt der Begriff der „Fremdenfeindlichkeit“ ist, da wir hier über Nachbarn sprechen, deute ich an dieser Stelle nur an.

Besiegt werden können die jetzt tief verwurzelte Angst und das Misstrauen nur, wenn den Menschen deutlich wird, dass sie letztlich alle Opfer geworden sind. Und absolut kontraproduktiv für die weitere Entwicklung ist die verbreitete Tendenz, im Nachhinein die begangenen Menschenrechtsverletzungen als Ausdruck der „tierisch-menschlichen Natur“ abzusegnen, was nur als Propagandatrick der internationalen „Gemeinschaft“ zu werten ist, um die Verantwortung für das Ignorieren der jeweils im Vorfeld bekannten gefährlichen Entwicklungen von sich zu schieben. [. . .]

SUSANNE HAGEMANN, Schleswig

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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