: Die Armee der kleinen Monster
Kunihiko Yuyamas „Pokémon – Der Film“ fügt sich synergetisch in den globalen Kinderkommerz. Möglicherweise kündigt der Hype um das Gameboy-Spiel mit seinen Knuddelviechern auch den immer wieder prophezeiten Durchbruch japanischer Comicästhetik im Westen an
von THOMAS WINKLER
Wer älter ist als zwölf Jahre und völlig verständnislos aus Kunihiko Yuyamas „Pokémon – Der Film“ kommt, sollte sich nicht wundern. Das gehört durchaus zum Prinzip. Die Pocket-Monsters, kurz Pokémons, konnten deshalb ihren globalen Siegeszug antreten, weil sie mehrere Grundbedürfnisse von Kindern befriedigen: 1. sammeln, 2. spielen, 3. sich mit anderen messen und vor allem 4. sich mit etwas auskennen, von dem die Erwachsenen keine Ahnung haben.
Im Unterschied zu den Produkten aus der Disney-Fabrik versucht „Pokémon“ erst gar nicht, den Generationengraben zu überwinden. Eltern bleiben ratlos und gelangweilt, das Pokémon-Universum haben die Kinder für sich. Einzige Hoffnung: Mit dem Beginn der Pubertät verschwindet erfahrungsgemäß auch die Pokémon-Sucht. Doch bis dahin kann eine Menge Taschengeld ausgegeben werden: Während sich der europäische Markt noch entwickelt, gibt es in Japan bereits mehr als 1.500 Merchandising-Produkte. Ob Schlüsselanhänger oder Süßigkeiten, Puzzles oder Plüschtiere, als Actionfiguren oder auf T-Shirts, als Sammelkarten oder Computerspiele, Bücher und CDs, TV-Serie und nun Film.
Wie jeder gute Kult begann auch dieser harmlos. Als Nintendo 1996 das Pokémon-Spiel für den Gameboy auf den japanischen Markt brachte, erwartete niemand etwas. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Verkaufszahlen für den Gameboy drastisch zurück, Grafik und Rechnergeschwindigkeit konnten lange schon nicht mehr mit den avancierten Games für den PC oder die Playstation mithalten. Doch die Marketingstrategen hatten nicht bedacht, dass das kleine Ding, transportabel und relativ billig, weiterhin das optimale Computerspielzeug für Kinder blieb. Und Pokémon war interaktiver und kindgemäßer als andere Spiele. Der Erfolg kam nicht mit einer Werbekampagne, sondern allein durch Mundpropaganda. Das Spiel ist inspiriert von einer alten japanischen Kinderbeschäftigung: Grillen zu fangen und gegen die Grillen der Freunde kämpfen zu lassen. Pokémon funktioniert genauso. Die „Trainer“ genannten Spieler müssen in der virtuellen Welt die 151 verschiedenen, zwischen 30 Zentimeter und 8 Meter großen Monster sammeln. Dann können die Trainer über ein Kabel zwischen den Gameboys Schlachten zwischen ihren Pokémon-Armeen schlagen. Im Prinzip eine sehr avancierte Version des Knobelns, nur dass man nicht nur Brunnen, Blatt und Schere zur Verfügung hat, sondern jede Menge Monster – was bei den spielenden Kindern einiges an Erinnerungsvermögen und taktischem Denken erfordert. Kindgerecht sterben die unterlegenen Monster nicht, sondern werden nur bewusstlos.
Das Spiel rettete nicht nur den Gameboy, sondern fand sofort seinen Weg in die gesamte japanische Kultur. Comics, TV-Serie und Bücher folgten. In den USA wurden bislang mehr als vier Millionen Spiele verkauft. „Pokémon“ soll der dritthäufigste gesuchte Begriff im Internet sein. Die Spielzeugfirma, die die Pokémons in den USA herstellt, zahlte 325 Millionen Dollar allein für Lizenzgebühren.
Ein Neunjähriger stach in Long Island bei einem Streit über Sammelkarten einen älteren Schulkameraden nieder. Viele Schulen in den USA haben die Pokémon-Karten bereits verboten.
Zunächst waren Nintendo und Warner der Meinung, dass japanische Anime-Filme nicht für den westlichen Markt geeignet sind. Nicht einmal „Pokémon“, der eigentlich kaum mehr als ein sehr in die Länge gezogenes Product-Placement ist. Also gab man die Amerikanisierung in Auftrag. An der ungewohnt groben Animation konnte man nichts ändern, aber dafür wurde ein neuer Soundtrack mit Teenie-Stars wie Britney Spears und Christina Aguilera zusammengestellt. Der Plot wurde völlig umgeschrieben, die neue Geschichte per Synchronisation implantiert. Das erklärt zumindest einen Teil der zahlreichen logischen Brüche.
Nicht nur die kindlichen Fans weltweit erwarten derzeit die neueste Generation an Gameboy-Spielen mit 260 neuen Pokémon-Charakteren. Auch nicht ganz unwichtige Leute in Hollywood glauben, dass mit dem Hype der bereits seit einigen Jahren apostrophierte Durchbruch der japanischen Comic-Kultur bevorsteht. Miramax-Chef Harvey Weinstein ist Anime-Fan, die Produktionsfirmen von Francis Ford Coppola und James Cameron haben bereits Kooperationsverträge mit Anime-Firmen geschlossen. Und selbst der Trickfilm-Gigant Disney hat einen Deal mit dem Studio der Anime-Legende Hayao Miyazaki über neun Filme. Die kleinen Monster, die nur unsere Kinder verstehen, sind, so scheint es, nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt.
„Pokémon – der Film“. Ein Zeichentrickfilm von Kunihiko Yuyama; Japan 1999, 75 Min.
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