: Die Profilsucherin
Nach wechselvollen Zeiten und zweijähriger Fernsehpause fährt Andrea Thilo für den NDR nach Polen und macht künftig nur noch seriöse Kultur
von NATALIA GEB
Das soll eine Baustelle sein? Gut, im Hof lungern Bauarbeiter herum, und das Treppenhaus wird noch verputzt. Doch Andrea Thilos Büro ist schon fertig: riesige, ziemlich aufgeräumte Schreibtische, klingelnde Telefone, Regale voller Videokassetten, und mittendrin ihre Partner Thomas Grube und Uwe Dierks. Hier arbeitet die ehemalige „liebe sünde“-Moderatorin mit ihrer eigenen Produktionsfirma „BoomtownMedia“, die sie mit Grube und Dierks letzten Juni gegründet hat.
Nach fast zwei Jahren Bildschirm-Pause präsentiert sie am Karfreitag die erste eigene Dokumentation „WarschauExpress“, diesmal bei der ARD. Sie ist, wie sie es selbst ausdrückt, „nach Hause gekommen“, zum NDR, wo sie nach dem Volontariat bis 1995 Reporterin war. Nun arbeitet sie zeitweise wieder mit ihrem früheren Chef zusammen.
Zum Reden ins Café
Ein kurzer Blick ins Büro muss reichen, zum Reden geht Andrea Thilo lieber ins Café. Sie trägt Jeans, Cordjackett und Treter mit Profilsohlen, Arbeitsschuhe eben. Wer den schwarzen Hosenanzug aus „liebe sünde“ in Erinnerung hat, guckt zweimal hin.
110 Sendungen des Erotik-Magazins hat Andrea Thilo für Pro Sieben moderiert, drei Jahre ist das jetzt her. Und wenn man sie fragt, ob „liebe sünde“ so eine Art Jugendsünde gewesen sei, ärgert sie sich immer ein bisschen, dann verdoppelt die Schnellsprecherin noch einmal das Tempo: „Auf jeden Fall war das eine erwachsene Entscheidung, denn ich war 29, als ich das angefangen habe. Ich habe diese Zeit genossen, es waren sehr glückliche zwei Jahre. Ich habe da gelernt, mich vor der Kamera zu bewegen, ich habe gelernt, meine Scheu abzulegen. Und mit dem Thema Sexualität habe ich mich wahnsinnig gern beschäftigt, auch heute rede ich gern über Sexualität.“ Doch irgendwann sucht jeder Ehrgeiz neue Herausforderungen: „Ich ließ nach, wurde fahriger, und da hab ich gemerkt, o. k., Thilo, it’s time to go.“
Was dann kam, war „TNT“ (Thilo, News und Themen), und wollte eigentlich nachhaken, Hintergründe aufdecken und vor allem die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Doch die Stories blieben zumeist seicht, die Kritiker mäkelten, das hätten sie anderswo schon besser gesehen – bzw. so etwas Schreckliches dann doch noch nie. Ihre Vorstellung vom unterhaltsamen Journalismus habe sich damals bei Pro Sieben nicht verwirklichen lassen, sagt sie heute lapidar. Auch die Quoten stimmten nicht – „TNT“ wurde nach nur 13 Folgen abgesetzt.
In neue Projekte vergraben
Für Thilo eine schwere Schlappe, an der sie länger kaute. „Das letzte Jahr war nicht eines meiner glücklichsten. Es war eine sehr wechselvolle Zeit, die mich sehr viel Kraft gekostet hat.“ Nach dem „TNT“-Abschuss vergrub sie sich in neuen eigenen Projekten: „Ich habe mir Zeit gegeben und ganz unten hervorgeholt, was ich wirklich einmal wollte, mit langem Atem und mit Menschen, die Vertrauen in mich gesetzt haben und ich in sie.“
Mit denen sie auch „WarschauExpress“ entwickelt, das Konzept dem NDR angeboten und den Film schließlich hat produzieren können. Ganz bewusst, sagt Thilo, haben sie mit der Ästhetik des Spielfilms gearbeitet. „Es sind ausgewählte Bilder, im Sinne der Geschichte komponiert.“
So wurde „WarschauExpress“ auch kein klassischer Reisebericht: „Im Prinzip ist es ein Film über das normale Leben in Warschau, über junge Menschen, die im Aufbruch stecken.“ Und Andrea Thilo findet hier auch ihre eigene Situation wieder: „Letztlich hat das mit uns zu tun, weil sich unser eigenes Lebensgefühl in dieser Stadt spiegelt.“ Warum also gerade Warschau? – Die Unentwegte holt weit aus, spricht von der Neugier auf das Fremde, dass sie schon immer viel gereist ist, und jetzt habe sie sich wieder auf ihre alte Leidenschaft besonnen.
Doch sie wollte etwas anderes machen als die eher touristisch ausgerichteten Sendungen. „Da gucken wir uns doch lieber mal die Städte an, die sonst immer auf der Strecke bleiben. Und Warschau hatte die meisten negativen Klischees: grau, trist, melancholisch. Beim NDR haben sie gesagt, wenn ihr diese Stadt bezwingt, dann trauen wir euch auch andere Sachen zu!“ „Bezwungen“ wurde Warschau ganz sicher nicht, und das ist auch besser so. Wir sehen eine gut gelaunte junge Deutsche durch die Hauptstadt eilen und neue und alte Freunde treffen.
Irritierende Bildsprache
Das könnte fatal an „Weltenbummler“ Hardy Krüger erinnern, aber weil Thilo und ihr Team wirklich eine eigene, irritierende Bildsprache gefunden haben, macht dieser „Abenteuerfilm“ tatsächlich Spaß.
Zurzeit steckt Andrea Thilo mitten in der Arbeit an einer Künstlerbiografie: Karl Weschke, hierzulande fast unbekannt, ist in Großbritannien berühmt und geschätzt. Der Maler Weschke, Jahrgang 1925, stammt aus Gera, lehrte später in Cambridge und lebt seit über 30 Jahren in Cornwall. Wochenlang waren Andrea Thilo und das Team unterwegs: erst Thüringen, dann England.
Und Thilo scheint gut im Geschäft zu sein, die nächsten zwei Jahre sind schon verplant: Einen Film über Leonard Bernstein will sie machen – und das, da ist sie ambitioniert wie immer, gleich fürs Kino.
„WarschauExpress“,Karfreitag, 19.15 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen