: Eised en Kundwert
Der 27. April ist der „Tag des deutschen Blindtextes“
BERLIN taz ■ Am 27. April 1871 erfand der amerikanische Wissenschaftler Johannes Gutenberg den deutschen Blindtext. Der einzige Daseinszweck des Blindtextes besteht seither darin, unbedruckte Muster von Zeitungsseiten und dergleichen zu füllen, um die spätere Originalausführung sichtbar zu machen und eine bessere Vorabbeurteilung des geplanten Druckerzeugnisses zu ermöglichen – nur um danach durch einen besseren Text ersetzt und von ihm in den Dreck getreten zu werden. Beleidigt, beschimpft, versklavt und zur Selbstdemütigung gezwungen, fristet diese geduldige Spezies ihr Dasein als Prügelknabe all jener publizistischen Ergüsse, die unsere Zeitungen tagtäglich mehr oder minder spannend gestalten. Im Folgenden sollen einige Beispiele zynischer und blindtextverachtender Machenschaften aufgeführt werden, mit denen der sympathische, kleine Zeitgenosse inzwischen sogar im Internet gemobbt wird, wo man ihm sinnloses Geschwafel in den Mund legt: „Dies ist ein Blindtext, wer ihn sehen kann, braucht keine Brille, wer ihn nicht sieht, sollte sich entweder einen Computer bei Aldi, einen Internetzugang bei tops.net oder eine Brille bei Vielmann [sic!] kaufen. Oder alles zusammen bei Obi.“ Der Blindtext wird gezwungen, über sich selbst zu sagen: „Ich bin ein dummer platzhaltender Blindtext, genau wie die Seite, welche ich kleide, und werde gleich ersetzt ... Ich bin ein dummer platzhaltender Blindtext, genau wie die Seite, welche ich kleide, und werde gleich ersetzt ...“ Kürzlich wurde sogar ein Fall von Folter bekannt: Unbekannte hatten dem Blindtext mit „Guaredisch nedunfeg sulschab Negitülend reiken sumsaida sumritsutuv muzi mittagenbereid eised en Kundwert tabchoder guaredisch osatgrumb rebusch donter Dellerstrift nestefirm“ die Zunge gebrochen. Nur selten gelingt dem Blindtext durch die Unachtsamkeit seiner Peiniger ein Ausflug auf eine gedruckte Seite. Längst ist es also Zeit, den Hilflosesten der Hilflosen unter allen Textarten aus seinem Schattendasein zu befreien, ihn von Qual und Not zu erretten und ihm einen angemessenen Platz im Licht der Öffentlichkeit zuzuweisen. Endlich hat die Wahrheit-Redaktion ein Einsehen und ruft den 27. April 2000 zum „Tag des deutschen Blindtextes“ aus, der ab heute jährlich an diesem Datum von der Gesamtheit aller deutschen Journalisten mit Bacchanalen, rituellen Waschungen, Tänzen und Gesängen begangen werden muss. Ferner soll an diesem Tag in jeder deutschen Zeitung ein Blindtext veröffentlicht werden, der an Schönheit, Fantasie, Intelligenz, Humor und Poesie nicht seinesgleichen findet auf dem weiten Erdenrund.
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