: Nervööös?
■ Nicht alle wissen es: In Bremen gibt es einen echten Spitzenpianisten. Er heißt Nikolaus Lahusen und ist demnächst dreimal zu hören
Aufgewachsen ist Nikolaus Lahusen in Mexiko City. Sein Vater war dort Pfarrer. Das Klavier lernte Lahusen kennen nicht als Folterkammer für Czerny-Etüden, sondern als Jazzinstrument, und noch heute stehen in seinem CD-Regal Benny Goodmann und Keith Jarrett neben Mozart und Schönberg. In seine Geburtsstadt Bremen kehrte er zurück wegen seiner Frau. Die ist Geigerin im Philharmonischen Orchester. Zwar zählt der Prophet nichts im eigenen Lande, aber Lahusen spielt mit dem Bremer Staatskörper schon zum zweiten Mal. Das erste Mal außerhalb Bremens, nun auch in der großen Glocke.
taz: Nervös?
Nikolas Lahusen: Sagen wir so, es ist schon ein sehr spezielles Gefühl, wenn man die Hälfte des Publikums kennt. Aber eigentlich nur vor dem Konzert. Hat es erst mal begonnen, schiebt sich die Musik in den Vordergrund.
Demnächst erscheint eine CD von Ihnen mit Werken eines Herrn Mikolajus Ciurlionis, Lebensdaten 1875 bis 1911. Marktstrategisches Kalkül? Persönliche Begeisterung?
Die Musikgeschichte ist voller Wiederentdeckungen unterschiedlichster Art: Mendelssohn und Bachs Matthäuspassion, das Ausgraben von Renaissancekomponisten durch die Historische Aufführungspraxis; und auch altbekannte Schubertwerke auf dem Hammerklavier sind eine Art neue Offenbarung. Natürlich versuchten es die Schallplattenfirmen nach den dramatischen Einbrüchen im Klassikmarkt aus kommerziellen Gründen mit dem Einspielen unbekannter Musik. Aber viele Entdeckungen haben sich gelohnt: Erwin Schulhoff, diese ganzen Musiker aus Theresienstadt. Oder auch viele Übergangskomponisten, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Nepomuk Hummel, Alexander Zemlinsky, die haben ihre ganze Energie eingesetzt, die Musikgeschichte voranzutreiben. Das ist ein riesiges Verdienst, auch wenn sie die Sache vielleicht nicht so auf den Punkt bringen konnten wie ihre Nachfolger Mozart, Chopin.
Bei der breiten Masse durchgesetzt hat sich nur wenig. Woran liegt's.
Die Innovationsfreude der Labels ist noch nicht bis zu den Musikveranstaltern vorgedrungen. Ich aber versuche zwischendurch immer auch etwas Unbekanntes zu spielen, Zeit genug hat man ja während eines ganzen Klavierabends. Den Zuhörer müsste es doch eigentlich Spaß machen, mal ausnahmsweise nicht zu wissen, was da auf ihn zukommt. Eine Art Abenteuer. Der Musikbetrieb sortiert leider noch immer das Vorhandene in eine kleine Gruppe von Geniewerken und eine große Masse von Vernachlässigbarem. Doch das hat nichts zu tun mit der Wirklichkeit. Zum Beispiel Norbert Brugmüller, den Schumann übrigens genial fand. Der starb schon mit 26. Aber in seinem Klavierkonzert gibt es neben ein paar Unausgegorenheiten immer wieder wunderbare Passagen. Das ist rettenswert, nicht zuletzt, weil durch solch teilgeniale Musik die Außerordentlichkeit zum Beispiel eines Chopins erst richtig bewusst wird. Und für den Interpreten ist Unbekanntes spannend, weil er dort eine gewisse Interpretationsfreiheit genießt.
Warum nehmen sich relativ wenig Megastars der Übersehenen an?
Es gibt da eine Theorie: dass große Labels und große Interpretennamen nur mit sogenanntem großen Repertoire erfolgreich sind und kleine Labels nur mit ,kleinem' Repertoire. Wenn Pollini Ciurlionis spielen würde, tät's vielleicht keiner kaufen. Aber der Musikmarkt ist derzeit so kaputt, dass alles in Umbruch gerät. Er ist kaputt, und von mir erscheinen 4 CDs in diesem Jahr, klingt wie ein Witz.
Warum der Lette Ciurlioni?
Auf Hinweis meines Plattenlabels sichtete ich das Notenmaterial, spielte zwei, drei Wochen jeden Morgen drin rum und entdeckte sehr viel Neuartiges, sehr viel Fazinierendes. Die frühen Werke schmecken arg nach Chopin. Aber dannach schleicht sich immer mehr Polyphonie ein: alte Stilformen, cantus-firmus-Techniken, Passacagliaartiges. Schließlich war Ciurlionis' Vater Organist. Für die damalige Zeit, wo alles so wucherte und schnell ausartete, ist diese knappe Baukastenästhetik absolut ungewöhnlich. Und am Ende notierte Ciurlionis nicht mehr tonal, das heißt die Vorzeichen stehen nicht am Zeilenbeginn, sondern vor jeder Note. Der Mann legte einen unglaublich weiten Weg zurück, bis weit hinein in avantgardistische Klangwelten, obwohl er in Vilnius in absoluter Isolation arbeitete und nur 13 Jahre Zeit hatte ehe er schwer nerverkrank wurde.
Kennt man die Ursache der Krankheit?
Noch gibt es keine vernünftige Biografie. Es hatte aber wohl mit der Künstlerrolle in dieser Zeit zu tun, dies Einzelgängertum, das große Ich und die Wolken d'rüber. Vielleicht war es auch die Erfolglosigkeit als Komponist. Nur etwa drei Stücke wurden publiziert. Als Maler dagegen wäre er beinahe mal auf Einladung Kandinskys bei einer Ausstellung des Blauen Reiters dabei gewesen. In so manchen langsamen, düsteren Passagen spürt man gelegentlich den Verlust der Bodenhaftung. Dort verschwimmt die Tonalität.
Wie finden Sie Ihre Kollegen?
Früher hielt ich alle Toppianisten für Schrott, und war mir sicher, selber alles viel besser zu machen. Mit 17 Jahren schrieb ich in jugendlichem Leichtsinn mal einen bitterbösen Leserbrief, weil ich nicht einverstanden war mit einer hymnischen Horowitz-Rezension. Mit 19 habe ich mal Radu Lupu ausgebuht, weil der soviele falsche Töne spielte. Heute weiß ich, dass es nicht um die richtigen Töne geht, sondern um den Funken zwischen Interpreten und Publikum. Je länger ich spiele, desto mehr Respekt habe ich vor allen, die eine Bühne betreten. Früher wollte ich ganz schnell an die Spitze: am Besten gleich mit Karajan und den Berlinern. Seit ich in den Archiven wühle und Unbekanntes ausgrabe, befriedigt mich ein kleines Ciurlionis-Konzert genauso wie ein Gastspiel im Münchner Gasteig oder bei der Münchner Biennale, Hauptsache der Funke ist da. Den will ich spüren. Fragen:bk
8.,9. Mai, 20 h, Glocke: 2. Chopin-Klavierkonzert
29. Mai, 20 h, Galerie Rabus: Werke von Ciurlionis
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