: Klar, Korruption ist ja so menschlich
betr.: „Täufer und Kannibalen“ (Jesuiten in Südamerika), taz.mag von Ostern 2000
Der Beitrag über die Jesuiten-Reduktionen stellt dieses interessante Thema krass einseitig dar. Die sentimentalen Aspekte wie „Mission“ und „soziales Experiment“ mal beiseite, stellten die Jesuitenreduktionen doch wohl in erster Linie ein Heer von 150.000 gut bewaffneten Indianern und waren damit der herausragende politische und wirtschaftliche Machtfaktor der gesamten Region.
Von sämtlichen Steuern und Abgaben befreit und mit Arbeitskräften, die für „einen Appel und ein Ei“ schufteten, prosperierten die Reduktionen über die Maßen und brachten die übrigen Bewohner der Provinz Paraguay an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, da diese gegen die „Dumping-Methoden“ der frommen Patres nicht konkurrieren konnten, die außerdem noch die Gouverneure und Beamten durch Bestechung in der Hand hatten – immer mit voller Rückendeckung der spanischen Monarchie.
Man kann sicher geteilter Meinung darüber sein, ob dieses Vorgehen der Jesuiten „sozialer“ oder „christlicher“ war als das encomienda-System der normalen spanischen Kolonisten. Für die Paraguayer war das gar nicht zweifelhaft, denn die versuchten zweimal, die Jesuiten aus dem Lande zu werfen: einmal in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dann noch einmal in der „Revolution der Comuneros“ Anfang des 18. Jahrhunderts, als Richter José Antequera y Castro einen jahrelangen Bürgerkrieg entfesselte und dann prompt in Lima hingerichtet wurde.
Nach kurzer Restauration wurden die Jesuiten 1767 durch Karl III. endgültig ausgewiesen: Dass die Reduktionen ein Zwangssystem waren, sieht man daran, dass von ihnen in kürzester Zeit nichts mehr da war – die Indianer waren wieder in die Wälder zu ihrer natürlichen Lebensweise zurückgekehrt.
Ein katastrophaler Fehler der spanischen Krone: Nur durch das somit entstandene Machtvakuum war höchstwahrscheinlich die Unabhängigkeitsbewegung ab 1810 in Buenes Aires möglich geworden, der Anfang vom Ende der spanischen Herrschaft in Südamerika. Mit einem Heer von 150.000 gutbewaffneten Indianern, geführt von fanatisch königstreuen Jesuiten im Nacken, hätten die Bonarenser von Freiheit nicht mal zu träumen gewagt.
Bei seinem Staatsbesuch 1991 in Paraguay besuchte das spanische Königspaar denn auch als Höhepunkt die Jesuiten-Reduktions-Ruinen von Jesús und Trinidad im Süden des Landes. Man weiß, was man den Jesuiten zu verdanken hat.
Was übrigens Voltaire von den Jesuiten hielt, kann man gut im „Candide“ nachlesen. „Ein Triumph der Menschlichkeit“ – ich sehe das ironische Lächeln direkt vor mir: Klar, Korruption ist ja sooo menschlich. ROLF WÄKE, Bremen
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