männer im mittleren alter von KARL WEGMANN :
„Was’n das für ’ne Jammermusik?“, fragt Bernd. „Die neue Neil Young“, antwortet Willy. „Neu?“, grinst Bernd. „Das Zeug haben wir doch schon 1970 gehört, damals, als wir noch glaubten, dass das Leben in einen Folksong passt.“
Willy zuckt nur mit den Schultern. „Morgen wird Bayern schwer gedemütigt“, sagt Hermann. „Genau“, meint Konscho, „ich war letzte Woche auf einem Fairport-Convention-Konzert . . .“ „Wo hast du die denn gesehen“, unterbricht Bernd, „in der ‚Schattigen Pinie‘ ?“ „Nee, in der Hölle“, grinst Konscho, „kam mir wenigstens so vor, nach drei Songs und sechs Tequila hatte ich eine irre Lust auf norwegischen Todesmetal.“
„Morgen wird Jeremis geschlachtet, und zwar mit einem stumpfen Messer“, wirft Hermann ein. „Die neuen Folkies sind noch viel schlimmer“, kommentiert Bernd, „ich habe kürzlich Neal Casal gesehen. Ich kann euch sagen . . . Eine Mischung aus Birkenstock, Kerzenwachs, billigem Rotwein, Batik, Jute und Tränen. Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich mein Weizenbierglas voll gekotzt . . .“ „Kein Weißbier für die Bayern morgen, nie mehr . . .“, lallt Hermann.
Mecki kommt rein und schnappt den Namen Neal Casal auf. „Das ist ein total Hübscher“, lächelt sie verzückt, „das Konzert war echt toll, so’n schöner Kerl.“
Bernd verdreht die Augen. Drei Männer mustern verstohlen ihre Brauereigeschwüre, nur Hermann sagt: „Effenberg, die Sau!“ Willy steht auf und ersetzt Neil Young durch den Soundtrack von Magnolia. „Ah, Aimee Mann“, freut sich Bernd, „viel besser! Hast du auch die neue Calexico?“ „Noch nicht“, sagt Willy.
„Ich werde bis zum Sommer mindesten fünf Kilo abnehmen“, erklärt Konscho, „ist doch Scheiße, am Strand und so . . .“ „Wie willste das denn machen“, Bernd ist wirklich interessiert, „Sport oder so?“ „Hitzfeld: Hochverrat!“, brabbelt Hermann, „Rübe ab! Aber zack, zack.“ „Na klar, Sport“, grinst Konscho, „aber nur der auf der Matratze.“ Willy schüttelt den Kopf: „Das bringt nix. Mit Bumsen abnehmen funktioniert nicht.“ „Wenn das klappt“, sagt Hermann überraschend deutlich, „fahre ich nur noch nach Spanien in Urlaub.“ Alle ignorieren ihn, und Konscho fragt: „Wieso funktioniert das nicht? Ich kenne da ein paar schweißtreibende Stellungen . . . das funktioniert!“ „Nee, nee“, sagt Willy, „es gibt da eine wissenschaftliche Untersuchung, die sie vor Jahren an der Universität von Rom gemacht haben. Dabei haben sie festgestellt, dass beim Vorspiel in einer Stunde etwa 100 Kalorien verbrannt werden, bei einem Kuss etwa 6 bis 12, beim Orgasmus zirka 400. In einer Stunde, wohlgemerkt, da die meisten Orgasmen aber nur fünfzehn bis fünfunddreißig Sekunden dauern, werden ungefähr 3 Kalorien verbraucht. So viel kannst du gar nicht bumsen, um auch nur 10 Gramm von deinem Rettungsring loszuwerden.“ „Echt wahr?“ Konscho ist entsetzt. „Und ob“, nickt Willy, „kannste wirklich glauben. Die Italiener sind in solchen Sachen absolut korrekt.“ „Also doch echter Sport“, stöhnt Bernd. Allgemeines Schweigen.
Nach einer Weile steht Willy auf und holt neues Bier. Alle trinken stumm. Dann sagt Hermann: „Leg doch mal die neue Neil Young auf.“ Willy gehorcht. Und diesmal hören alle ganz genau hin.
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