: „Big Brother“ auf Jolo
Philippinische Geiselnehmer verhandelten heimlich mit RTL. Entführung auf Jolo wird Fernsehshow. EndeMol erhielt Option auf die weltweiten Senderechte
ZAMBUANGA taz ■ In die Geiselkrise auf den Philippinen ist Bewegung gekommen. Der philippinische Präsident Joseph Estrada ersetzte gestern die bislang erfolglosen Vermittler Misuari und Ibrahim überraschend durch den deutschen Fernsehmoderator Percy Hoven (RTL). Rebellenchef Comandante Robot begrüßte diese Entscheidung als – so wörtlich – „serr gutt“.
Erstmals ist damit auch das Ziel klar geworden, das die Rebellen mit ihrer Aktion verfolgen. Demnach handelt es sich sich bei der Entführung der 21 überwiegend westlichen Urlauber um eine philippinische Variante der TV-Sendereihe „Big Brother“, für deren weltweite Vermarktung die Rebellen nunmehr eine erfahrene Produktionsfirma sowie einen leistungsstarken Sender fordern. Comandante Robot: „Wir brauchen dringend ein paar tropenfeste Kameras. Andernfalls können wir die Rund-um-die-Uhr-Beobachtung der Geiseln nicht länger garantieren.“ Die holländische TV-Produktionsfirma EndeMol setzte bereits gestern einen Trupp Fernsehtechniker nach Jolo in Marsch. Der deutsche Privatsender RTL sucht währenddessen fieberhaft nach einem geeigneten Sendeplatz. Spätestens ab Sonntag will man täglich eine einstündige Zusammenfassung aus dem Versteck der Geiseln senden.
Der Umstand, dass die Mitwirkung der 21 Urlauber nicht unbedingt auf freiwilliger Basis geschieht, findet man weder bei EndeMol noch bei RTL weiter problematisch. Das seien nun mal die philippinischen Spielregeln. Mit einer Verletzung der Menschenwürde habe das nichts zu tun. Im Übrigen würde im Geiselcamp auf Jolo alles so ablaufen wie im längst bewährten Container von Hürth. Immerhin wolle man darauf bestehen, die herzkranke deutsche Geisel Renate Wallert nicht gleich als erste Kandidatin zu nominieren, da sie den Rummel nach ihrer Freilassung vermutlich kaum überleben würde. Unterhändler Percy Hoven sei angewiesen worden, entsprechende Absprachen mit den philippinischen Produzenten vor Ort zu treffen.
Mittlerweile haben sich im Internet erste Diskussionsforen gebildet, in denen lebhaft über die Kandidaten in „Geisellager“ – so der voraussichtliche Titel der neuen RTL-Sendung – diskutiert wird. Als heißester Anwärter für die erste Nominierung gilt „unser Lehrer aus Göttingen“ (Bild), Herr Wallert. Der sei „schon lange genug unentschuldigt dem Unterricht fern geblieben“, so ein Diskussionsteilnehmer, der sich als ein Schüler Wallerts outete. Sohn Marc Wallert (26) hingegen, der dritte Deutsche im Camp, soll nach einhelliger Meinung der Chatter „ruhig noch ein bisschen im Dschungel bleiben“. Von ihm erhofft man sich eine Affäre mit der libanesischen Geisel Marie Michel Moarbes (35). Erste Bilder, die das junge Paar Händchen haltend zeigen, gingen bereits um die Welt.
Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte sich indes in einer ersten Stellungnahme erleichtert darüber, dass sich die vermeintliche Geiselnahme nunmehr als „harmlose TV-Show“ entpuppt hat. Ihm sei da „ein Riesenstein vom Herzen gefallen“. Im Übrigen wünsche er „Geisellager“ viel Erfolg und eine möglichst hohe Einschaltquote. Ihm persönlich hätten schon die ersten, verwackelten Aufnahmen aus dem Geiselcamp neulich in der „Tagesschau“, in „heute“ und „bei RTL-Bremer“ sehr gefallen. Vor allem die tapfere Frau Wallert gäbe ja wohl „quotenmäßig“ ihr Bestes. Fischer kündigte an, dass er sich die erste Sendung von „Geisellager“ auf jeden Fall anschauen wird. FRITZ TIETZ
Zitat:„Wir brauchen dringend ein paar tropenfeste Kameras. Andernfalls können wir die Rund-um-die-Uhr-Beobachtung der Geiseln nicht länger garantieren“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen