Der Boom der Business Schools

Von IBRAHIM WARDE *

WENN es einen Studiengang gibt, bei dem man unwillkürlich an die USA denkt, dann ist es das Fach Management – nicht zufällig sagte Präsident Calvin Coolidge einmal, das Wichtigste in den Vereinigten Staaten sei das Geschäftemachen. In den ersten vier Studienjahren an der Universität ist Management die beliebteste Spezialisierung. Jedes Jahr erhalten an die 90 000 Studenten das Diplom eines „Master of business administration“ (MBA). Trägt es das Siegel einer renommierten Universität, dann stehen die Türen zu Führungsposten weit offen.

Die ersten Handelsschulen entstanden zwar schon Ende des 19. Jahrhunderts, doch erst in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurden die Business Schools zum Exportartikel. Nach Europa gelangte das Management amerikanischen Stils im Gefolge des Marshallplans und durch den Aufstieg der multinationalen Konzerne. Die französische Eliteschule Institut européen d’administration des affaires (Insead) in Fontainebleau wurde 1959 mit der finanziellen Hilfe amerikanischer Stiftungen gegründet. Von ehemaligen Absolventen der Harvard Business School aufgebaut, gelang es ihr, die in den USA praktizierten Methoden an die europäischen Bedingungen anzupassen: Vorlesungen in Englisch, amerikanische oder in Amerika ausgebildete Professoren, Lehrprogramme auf der Basis von Fallstudien, die in Harvard verwendet wurden.

Ihre erste Glanzzeit erlebten die amerikanischen Business Schools in den Sechzigerjahren. In seinem 1968 erschienenen Buch „Die amerikanische Herausforderung“ rief Jean-Jacques Servan-Schreiber Europa dazu auf, „mit Nachdruck die modernen Management-Methoden einzuführen“. Er zitierte Robert McNamara (ehemaliger Schüler und Dozent der Harvard Business School, dann Chef des Automobilherstellers Ford, schließlich Verteidigungsminister während des Vietnamkrieges): „Das Management ist letztlich die kreativste Kunst, denn es baut auf menschliches Geschick. Es ist der Weg, auf dem der gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und technologische Wandel rationell und wirksam an die Gesellschaft weitergegeben wird.“

Zur selben Zeit forderte Präsident Georges Pompidou die französischen Unternehmen auf, sich die Methoden des „Marketing und Management“ anzueignen. In Europa und anderswo wurden Business Schools nach amerikanischem Vorbild gegründet. Und die traditionellen französischen Eliteschulen krempelten ihre Unterrichtsprogramme um: neue Fächer, Vollzeitlehrkräfte, durchgängige Anwendung von Fallstudien. Die ehrgeizigsten unter ihren Absolventen gingen oft noch für zwei zusätzliche Jahre nach Übersee, auch wenn sie dort noch einmal fast die gleichen Vorlesungen hörten.

Als die amerikanische Industrie gegenüber Ländern wie Deutschland oder Japan – in denen es keinen MBA gab – ins Hintertreffen geriet, fand sich das Management amerikanischen Stils plötzlich auf der Anklagebank. Ein Artikel in der Harvard Business Review behauptete sogar einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der sinkenden Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Industrie und dem MBA-Studiengang, der zu spezialisiert, zu abstrakt und nicht genügend international ausgerichtet sei.[1]Beim MBA-Studium stehe das kurzfristige Denken zu sehr im Vordergrund, man betone die Fertigkeiten im Bereich von Marketing und Finanzen und vernachlässige die Produktion und die technische Innovation.

Diese Kritik brachte sämtliche Schulen dazu, ihre Lehrprogramme umzugestalten.[2]Seither sind Reformen und Umstellungen an der Tagesordnung. Der MBA-Ausbildung als solcher konnte auch die schärfste Kritik nichts anhaben; nach dem Andrang und den Gehältern zu urteilen, geht es der Branche weltweit bestens. Die Schulen schwimmen im Geld, das sowohl durch die immer zahlreicher und teurer werdenden Ausbildungsprogramme hereinkommt wie auch durch eine geradezu obsessive Praxis des Spendensammelns.

Denn das Interesse an einer Managerkarriere ist ungebrochen. Der Journalist Nicholas Lemann hat es so erklärt: „In den Fünfzigerjahren wollten die besten Studenten der amerikanischen Universitäten beim CIA arbeiten. In den Sechzigerjahren wollten sie zum Peace Corps, in den Siebzigern zu Ralph Nader, in den Achtzigern zur First Boston Investment Bank. Heute ist es die große Geschäftswelt, was die Studenten fasziniert, wo sie sich beweisen wollen – vor nur einer Generation hätte sich an der Universität niemand so etwas vorstellen können.“[3]

ANFANG der Neunzigerjahre gaben auch Oxford und Cambridge, die beiden Tempel der klassischen Universitätsbildung, dem Druck nach und schufen eigene Management-Studiengänge. Auch französische Eliteschulen wie die École nationale des ponts et chaussées oder das Pariser Institut d'études politiques richteten ihre eigenen MBA-Programme ein. Erstaunlicher noch ist die Entwicklung in Osteuropa, in der ehemaligen Sowjetunion, in Südamerika und in Asien[4]: Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Siegeszug von Neoliberalismus und Marktwirtschaft scheint es für den Erfolg des MBA-Modells keine Grenzen mehr zu geben.

Weltweit bestimmen zwei Instanzen den Markt der Business Schools: die Zulassungseinrichtungen und das Bewertungssystem. In den USA ist es die American Assembly of Collegiate Schools of Business (AACSB), die seit 1916 die Zertifikate erteilt. In Europa entstanden erst neuerdings analoge Institutionen, namentlich die in Brüssel angesiedelte European Foundation of Management Development (EFMD), die als Norm das European Quality Improvement System (Equis) erarbeitete. Allerdings verlor das europäische Zertifikat an Attraktion, als 1997 die französische École supérieure des sciences économiques et commerciales (Essec) und kurz danach auch andere europäische Schulen die Akkreditierung der AACSB erhielten.

Der Wettlauf um die beste Bewertung spielt natürlich eine große Rolle in einer Welt, wo der Sieger den gesamten Einsatz einstreicht. Die Sache wird allerdings mehr oder weniger zur Lotterie, wenn Programme in völlig unterschiedlichen Ländern verglichen werden, wo weder das Schulsystem noch das Lohnniveau vergleichbar sind. Die üblichen Kriterien (durchschnittliches Einstiegsgehalt, Zahl der Stellenangebote pro Studienabgänger, Strenge der Ausleseverfahren, Anteil der Promovierten im Lehrkörper, Bewertung durch Dekane, Zulassungsjuroren oder gar Studenten) sind im Übrigen oft vage, schwankend und subjektiv. Man spart nicht an Lobbyarbeit bei den Erstellern der Listen, und diese sorgen für Abwechslung, indem sie hier einen als sicher geltenden Rang herunterstufen, dort einem unbekannten Programm eine Chance geben. So können an die hundert amerikanische Business Schools für sich beanspruchen, zu den „Topten“ zu gehören, indem sie sich ganz einfach auf verschiedene Listen berufen. Einige Ranglisten (namentlich die der Business Week, der U.S. News and World Report oder der Financial Times) sind gleichwohl für die Schulen von erheblicher Bedeutung, denn bei der heutigen Zahlenhörigkeit wirken sie sich auf die Gehaltshöhe aus, außerdem ziehen sie die besten Studenten der Welt und die renommiertesten Dozenten an.

Unter diesen neuen Gegebenheiten tritt die pädagogische Dimension hinter dem geschäftlichen Aspekt völlig zurück. Der „Wert“ einer Ausbildung bemisst sich nach dem Geld, das man in sie investiert hat.[5]Nachdem den Managementschulen oft vorgeworfen wurde, sie hielten sich nicht an die unternehmerischen Grundsätze, fällt man jetzt ins andere Extrem, indem man im Studenten einen Verbraucher und in der Schule einen Dienstleistungsbetrieb sieht. Nun zählt nur noch die Befriedigung der ständig wachsenden Ansprüche der Kunden, die umso forscher auftreten, je mehr die Wirtschaft boomt. Sie wollen von der Schule in erster Linie, dass sie ihren Marktwert erhöht – oder ihnen gleich zum eigenen Unternehmen verhilft.[6]

Angeblich um einer Nachfrage zu entsprechen, betreiben zahlreiche Institutionen eine Strategie des Wachstums um jeden Preis, sie erfinden ständig neue Programme, suchen überall im Ausland Kontakte und Allianzen. Doch die so eifrig betriebene Internationalisierung ist eine Einbahnstraße. Zwar lehren amerikanische Professoren in ausländischen Instituten, doch sie machen sich selten die Mühe, die lokale Geschäftswelt zu verstehen. Jeffrey E. Garten, der Dekan der Yale School of Management, fragt sich, ob die Vervielfachung dieser Programme „nicht eher dadurch motiviert ist, dass man neue Einkünfte erschließen, die Konkurrenzschulen nachahmen oder in den Medien mit der Zahl der im Ausland veranstalteten Programme prahlen will, als dass man wirklich strategische Überlegungen über die pädagogische Zielsetzung der Schulen anstellt“[7]. Anzumerken wäre, dass keine der großen amerikanischen Business Schools die Beherrschung einer Fremdsprache verlangt und dass auch nirgends vergleichendes Management gelehrt wird[8]– man setzt als selbstverständlich voraus, dass das eine Modell universelle Geltung hat.

Um ihre Expansion zu finanzieren, überbieten sich die amerikanischen Schulen im Akquirieren von Finanzmitteln. Wenn bekannt wird, dass eine Schule eine große Spende erhalten hat, versuchen die anderen, noch größere Summen einzutreiben. Gegenwärtig brechen solche Kampagnen alle Rekorde, zum Teil dank spektakulärer Börsengewinne. Und die großzügigsten Spender (20 Millionen Dollar und mehr) können sogar verlangen, dass die Empfänger-Schule ihren Namen trägt.[9]Ein wachsender Teil der Einkünfte stammt aus lukrativen Nebentätigkeiten, zum Beispiel der Fortbildung: Das berühmte Harvard-Managementprogramm für Fortgeschrittene, das neun Wochen dauert, kostet 40 500 Dollar. Bei dem Tempo, mit dem einige Institutionen reicher werden, ist zu erwarten, dass sie bald nicht mehr nur ein Gebäude nach dem anderen hinstellen (weil sie zu viel Geld haben), sondern auch ins Hotelgeschäft einsteigen (die neuen „Studentenzimmer“ sollen ja nicht leer stehen).

Die Professoren, die so gerne vom Wandel reden, den andere vollziehen sollen, klammern sich an ihre Privilegien und vor allem an die Unkündbarkeit – ein Verhalten, das überhaupt nicht zur Logik des Marktes passt, wo doch die Sicherheit des Arbeitsplatzes von der Leistung abhängt. Im Übrigen ist keineswegs gesichert, dass sie Erkenntnisse liefern, die den Unternehmen wirklich nützen. Denn um Titularprofessor an einer der illustren Schulen zu werden, muss man die Kollegen vor allem mit theoretischen Forschungsergebnissen beeindrucken. Doch exzessive Spezialisierung und betont „wissenschaftliche“ Darstellungsweise stehen sowohl dem interdisziplinären Austausch als auch der Lesbarkeit entgegen.[10]Die Fachzeitschriften sind einmal voll von abstrakten Abhandlungen, die mit wissenschaftlicher Akribie irrelevante Fragen beantworten, und andererseits von empirischen Untersuchungen, die mit gewaltigem Aufwand Erbsenzählerei betreiben.

Wenn sie einmal sicher auf ihrem Stuhl sitzen, werden die Professoren empfänglich für die Sirenengesänge, die von außen kommen. Aufsichtsratssitze, Konferenzen und Seminare sind besser bezahlt als Lehre und Forschung. Die Superstars des Systems, die für den guten Ruf ihrer Schulen sorgen, können ihre Dienste für bis zu 90 000 Dollar pro Tag verkaufen.[11]Mit dem Resultat, dass, wie Dekan Garten meint, „gerade jetzt, wo das dringende Bedürfnis besteht, die Geschäftswelt besser zu verstehen, die Lehre immer schlechter wird.“ Um gegenzusteuern, bekräftigte 1994 der Lehrkörper der École des Hautes études, der pädagogische Auftrag dürfe nicht an die Unternehmen abgegeben werden und die Schule müsse auch Kritikfähigkeit, Allgemeinbildung, Berufsethos, Interdisziplinarität und gesellschaftliche Einbindung vermitteln.[12]

AUCH wenn sie nicht so reichlich mit Geld ausgestattet sind wie ihre amerikanischen Schwesterschulen, können einige europäische Institute Spitzenpositionen im Bereich der Innovation einnehmen. Nach Meinung von Professor Henry Mintzberg, der an der Universität McGill (Montreal) und an der Insead (Frankreich) lehrt, „entstehen 95 Prozent der interessanten Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Managementschulung in Europa, vor allem in Großbritannien“.[13]Auf den Markt der Managementschulen wirkt sich dies allerdings offenbar nicht aus. Nach einem originellen Schulversuch, bei dem Unterricht und Unternehmenspraktika hätten abwechseln sollen, ist die Universität Cambridge wieder zur konventionellen MBA-Norm zurückgekehrt. Und in der letzten Bewertung von 100 Business Schools durch die Financial Times finden sich nur zwei europäische Institutionen unter den zehn Besten: die Insead und die London Business School.

dt. Josef Winiger

* Professor an der Universität Berkeley, Kalifornien, Mitautor von „Le Monde anglo-saxon en question“, Paris (Economica) 1997.

Fußnoten:

1Vgl. Richard G. Hamermesh (Hsg), „Strategic Management“, Harvard Business Review Executive Book Series, New York (John Wiley & Sons) 1983, S. 522.

2Business Week, 24. März 1986, und The Chronicle of Higher Education, 23. Februar 1994.

3Nicholas Lemann, „The kids in the conference room“, The New Yorker, 18. Oktober 1999.

4Vgl. „Les faiseurs de révolution libérale“, Le Monde diplomatique, Mai 1992.

5Ronald N. Yeaple, „The MBA Advantage: Why It Pays to Get an MBA“, Holbrook, Mass. (B. Adams) 1994.

6Die Harvard Business School musste neulich ihren Professoren verbieten, in von ihren Studenten gegründeten Firmen Aufsichtsratsposten anzunehmen (The Wall Street Journal, 27. Februar 2000).

7Jeffrey E. Garten, „Globalizing the MBA“, Vortrag gehalten auf der Tagung des Graduate Management Admission Council (GMAC), Washington, D.C., 18. Juni 1999.

8Dass es auch andere Möglichkeiten gibt, zeigen Elie Cohen, Jean-Pierre Helfer und Roland Pérez in: „Pour un modèle européen de management“, Le Monde, 14. März 2000.

9 Die Columbia University teilte mit, eine Spende in Höhe von 60 Millionen Dollar werde dem Spender die Ehre eintragen, daß die Business School nach ihm benannt wird.

10Ibrahim Warde, „Die Tyrannei des 'ökonomisch Korrekten'“, Le Monde diplomatique, Mai 1995.

11Stuart Crainer, Des Dearlove, „Gravy Training: Inside the Business of Business Schools“, San Francisco (Jossey-Bass Publishers) 1999, S. 106.

12„L'Ecole des managers de demain“ (Sammelwerk), Paris (Economica) 1994.

13Business Week, 19. Oktober 1998.