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Zivi-Loch qualifiziert stopfen

„Keine Versorgungslücken in Hamburg“: Sozialsenatorin verspricht Ersatzstellen. Träger müssen Bedarf „dezidiert nachweisen“  ■ Von Elke Spanner

Sozialsenatorin Karin Roth (SPD) hat ein mutiges Versprechen abgegeben: Durch die bundesweite Verkürzung des Zivildienstes ab Juli sollen in Hamburg keine Versorgungslücken bei der Betreuung alter Menschen, Schwerbehinderter oder Kinder entstehen. „Das wird im Einzelfall geregelt“, kündigte Roth gestern in der Bürgerschaft an. Allerdings räumte sie ein, dass die Träger ihren Bedarf „dezidiert nachweisen“ müssen. Nur dann sorgt die Behörde für Ersatz.

Die Bundesregierung hat den Zivil- dem Wehrdienst angeglichen und von 13 auf elf Monate reduziert. Dem hatte Hamburg im Bundesrat zugestimmt – und dadurch, so der CDU-Abgeordnete Rolf-Rüdiger Forst, die Mitverantwortung für die „fatalen Folgen“ übernommen: Die Wohlfahrtsverbände und freien Träger steuerten durch den Wegfall der Billigarbeitskräfte auf ein finanzielles Fiasko zu. Zudem habe der Senat „Sozialabbau“ mit abgesegnet. Im Albertinenkrankenhaus in Schnelsen, so Forsts Beispiel, würden allein zwischen Juli und September über 6700 Stunden „an Zuwendung und Betreuung“ wegfallen.

Auch die GAL mahnt rasche Lösungen an. Die Abgeordnete Dorothee Freudenberg erinnert daran, dass die Reduktion des Zivildienstes eigentlich gar keine Auswirkungen haben dürfte, weil Zivis laut Gesetz nur arbeitsmarktpolitisch neutral eingesetzt werden dürfen. Doch faktisch hänge etwa die individuelle Betreuung schwerstbehinderter Kinder vom Einsatz derer ab, die früher als Drückeberger diffamiert wurden. Einen Engpass prognostiziert Freudenberg für diesen Sommer vor allem beim Spezialbeförderungsdienst und bei der Betreuung behinderter Schulkinder und Erwachsener in der eigenen Wohnung.

Um diese Lücken zu schließen, müssten den Zivis vor Dienstbeginn Praktika und anschließend Weiterbeschäftigung angeboten werden – und zwar anständig bezahlt. Auf Dauer, so die grüne Forderung, müssten Zivi-Stellen in reguläre Arbeitsplätze umgewandelt werden. Nach einer Berechnung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes könnten aus den bundesweit derzeit 135.000 Zivi-Plätzen rund 90.000 Vollzeitarbeitsplätze entstehen.

Die großen Wohlfahrtsverbände in Hamburg haben dem Senat bereits skizziert, welche Auswirkungen die Neuregelung ab Sommer für sie haben wird. Beim Arbeiter-Samariter-Bund fallen 27 Zivi-Plätze in der Pflege, beim Krankentransport und Rettungsdienst fort. Dem Deutschen Roten Kreuz werden von bisher 349 nur noch 252 Zivi-Stellen verbleiben.

Besondere Sorge bereitet den Bürgerschaftsabgeordneten die Betreuung Schwerstbehinderter in der eigenen Wohnung. Senatorin Roth versprach, alles dafür zu tun, zu vermeiden, dass Behinderte gegen ihren Willen in ein Heim eingewiesen werden.

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