: Kein Kummer weniger
Die „Süddeutsche“ windet sich in der Aufarbeitung ihres hausgemachten Skandals. Solange die Fronten noch nicht geklärt sind, fühlt man sich als Opfer und appelliert an das Vertrauen der Leser
von ARNO FRANK
„Wer die penible Art der Vorbereitung kennt, die sich Tom Kummer vor jedem Interview abnötigt, weiß, dass solche Dialoge harte Arbeit sind. Sie beginnt mit der gewisssenhaften Anhäufung von Wissen, steigert sich zu höchster Konzentration während des Interviews und endet schließlich mit dem stilistischen Feilen beim Abschreiben der Bänder.“
Wer so schreibt, kann sich nicht gut als Opfer präsentieren. Deshalb vermutlich fehlte gestern auch der Name von SZ-Magazin-Chefredakteur Ulf Porschardt unter dem Editorial „In eigener Sache“. Stilistisch war das von Porschardts Chefkollegen Christian Kämmerling allein unterzeichnete Manifest aber ohne Tadel: „Unsere journalistische Glaubwürdigkeit hat großen Schaden gelitten“, jammert es da, „wir sind einem Hochstapler aufgesessen“, ja sogar „ein Betrug von ungeahntem Ausmaß“ wurde bemüht. Angeblich, so ließ sich Kämmerling im Tagesspiegel zitieren, würden doch gerade an die Interviews im SZ-Magazin die strengen Maßstäbe der Sei- te 3 angelegt. Und dann so was: „Tom Kummer war nicht kreativ, sondern offenbar kriminell.“
Denn der hatte so gewissenhaft und konzentriert gefeilt, dass er es versäumte, dem misstrauischen SZ-Magazin die Bänder seines Gesprächs mit der Schauspielerin Christina Ricci zu schicken – die Münchener rochen daraufhin Lunte und kündigten 1999 dem Autor die Zusammenarbeit. Den Lesern aber, die sich bis dahin köstlich über originelle Antworten von Brad Pitt, Courtney Love, Johnny Depp oder Demi Moore amüsiert hatten, wurde diese pikante Entwicklung vorenthalten – bis am 15. Mai der in Sachen Fake-Interviews auch nicht ganz unbekannte Konkurrent Focus veröffentlichte, was einige angeblich längst gedacht hatten: Kein Kummer hatte je mit den Stars gesprochen.
Die Enthüllungen trafen das SZ-Magazin zum – zumindest für seine Gegner – günstigsten Zeitpunkt: Bei Erscheinen des Focus war die komplette Redaktion bereits in den türkischen Badeort Antalya abgedampft, um das zehnjährige Jubiläum ihres Heftes zu feiern. Nun, da alle Beteiligten wieder in ihre Schützengräben zurückgekehrt sind, entspinnt sich auf mehreren Ebenen ein bizarrer Diskurs: Wie hält es das SZ-Magazin mit den Fakten? Wer wusste oder ahnte wann was? Immerhin hatte der 1996 beim SZ-Magazin ausgeschiedene Redakteur Detlev Reinert schon 1993 ausdrücklich vor Kummer gewarnt.
Bei der SZ erklimmen nach und nach die Gegner des Magazins die Barrikaden. Dabei scheint es nicht nur um die 5 Millionen Mark Verluste zu gehen, die das unabhängig operierende Heft Jahr für Jahr anhäuft, sondern auch um einen Generationenkonflikt. Denn den Alt-68ern auf den Chefsesseln ist der unbeschwerte Lifestyle- und Wohlstandsjournalismus der „jungen Wilden“ auch ideell ein Dorn im Auge. So hat SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz zwei seiner Reporter beauftragt, die Vorgänge um Kummer so zu recherchieren, als schrieben sie über ein fremdes Blatt. Und so formiert sich in der hauseigenen Medienredaktion die Anti-Kummer-Front, bislang allerdings erst mit mildem Spott: „Krise? Welche Krise?“ hieß es da über einem Porträt des Medienstandorts München, „Ein Kummer weniger“ stand über der Meldung, dass sich Leo Kirch und sein Pro-7-Partner Rewe in Sachen TV-Familie wieder lieb haben. Substanzielleres soll folgen.
Bis sich die Garden der einen oder anderen Seite endgültig formiert haben, scheint zumindest Porschardt eine Gnadenfrist eingeräumt. Die Kummer-Fraktion produziert derweil auf ihrem elektronischen Literaturforum ampool.de mediales Restrauschen: „Ich bin sowieso fürs Klauen und fürs Fälschen“, schreibt unbeschwert ein Heiner Link, „das ist noch immer die ehrlichste Variante der Wahrheit.“ Gegeißelt wird der „plötzliche Moralismus der Presse“, der vor allem den „besonders merkwürdigen Ausläufern von journalistischen Karriereentwürfen“ zu schulden sei: „Bleib da, lieber Tom Kummer, lass uns die Welt neu erfinden, die alte ist zum Kotzen, und wenn nicht zum Kotzen, dann ist sie sterbenslangweilig.“
Eckhart Nickel aus Heidelberg vermutet gar eine reaktionäre Verschwörung all der Kleingeister, „die vom Leben nichts als die Bestätigung hören wollen, dass der Rest der Welt keinen Deut besser, eleganter oder klüger ist als sie selbst. Entertain me.“ Und Elke Naters, Mit-Initiatorin des Forums, bringt’s auf den Punkt: „So what: Fuck Focus.“
Dass zu den streng begrenzten ampool-Autoren auch SZ-Magazin-Mitarbeiter wie Moritz von Uslar oder der inzwischen abgewanderten Rebecca Casati gehören, wundert kaum: Es ist sprichwörtlich der Pool, aus dem sich der „Borderline“-Journalismus des Magazins speist.
Ein Journalismus wohlgemerkt, dem auch Chefredakteur Ulf Poschardt stets das Wort geredet hat: „Das Erstellen der Texte“, schreibt er im Vorwort zur eingangs zitierten Kummer-Anthologie, „muss mit doppelter Zunge geschehen, der eigenen und der des Gesprächspartners.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen