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Streik im Kanzleramt

Im öffentlichen Dienst droht Streik. Gewerkschaften erwarten positives Votum bei Urabstimmungen. CDU und SPD fordern Streikverzicht in Berlin, da Ostangestellte hier schon Westgehälter bekommen

von RICHARD ROTHER

Erstmals seit 1992 droht der Region Berlin-Brandenburg wieder ein flächendeckender Streik im öffentlichen Dienst. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen leiten die Gewerkschaften bereits in der kommenden Woche Urabstimmungen ein. Sie rechnen mit der notwendigen Zustimmung von mehr als 75 Prozent. Dann könnte schon in der Woche nach Pfingsten gestreikt werden – wenn sich öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht noch auf neue Kompromisse einigen.

Die Große Tarifkommission der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) hatte am Dienstagabend den Kompromissvorschlag des Schlichters abgelehnt. Dieser sah unter anderem vor, die Löhne und Gehälter in diesem Jahr um 1,8 Prozent zu erhöhen; darüber hinaus sollten die Einkommen der Beschäftigten im Osten stufenweise bis auf 90 Prozent des Westniveaus steigen.

Die Einkommensangleichung geht den Gewerkschaften nicht schnell genug. In der Metallindustrie war bereits vor mehreren Jahren eine nominale Angleichung der Ost- an die Westeinkommen erzielt worden. Auch die Berliner Landes-Angestellten des öffentlichen Dienstes beziehen in beiden Stadthälften gleiche Einkommen, im Ostteil muss dafür jedoch länger gearbeitet werden.

Sollte es zu Streikmaßnahmen kommen, wollen sich die Gewerkschaften deshalb auf die Bundesbehörden in der Hauptstadt konzentrieren. Allerdings könnten auch die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe betroffen sein. Lediglich bei S-Bahn und Bewag wird es keine Arbeitsniederlegungen geben, da beide Unternehmen in privater Regie geführt werden. Schon bei einem Warnstreik am 4. Mai standen alle Busse und Bahnen der BVG drei Stunden lang still.

Die angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen sind bei den Parteien, mit Ausnahme der PDS, auf scharfe Ablehnung gestoßen. Angesichts der Tatsache, dass in Berlin beim Einkommen der Ost-Angestellten bereits 100 Prozent des Westniveaus erreicht sei, wäre es nicht gerechtfertigt, wenn die Berliner unter Streikmaßnahmen zu leiden hätten, erklärte der Berliner CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt.

„Streikmaßnahmen sind nicht angemessen“, sagte gestern auch SPD-Fraktionsschef Klaus Wowereit. Angesichts knapper öffentlicher Kassen gäbe es keinen Spielraum für Nachbesserungen. „Ich möchte sehen, wie die Gewerkschaften wieder aus dieser Sackgasse herauskommen.“ Außerdem sei die Streikbereitschaft in den neuen Ländern offenbar nicht sehr hoch.

„Ein Arbeitskampf wäre jetzt fatal“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Jochen Esser. Der Schlichterspruch habe in der Nähe der Reallohnsicherung gelegen. Wenn die Gewerkschaften mehr für die Beschäftigten erreichen wollten, sollten sie die Möglichkeit einer Einmalzahlung für alle in Betracht ziehen. Dies sei sinnvoller als eine prozentuale Erhöhung quer durch alle Gehaltsstufen. Das Anliegen der ÖTV, die Tarife in Ost und West anzugleichen, nannte Esser verständlich. Die Beschäftigten in den neuen Ländern bräuchten „eine klare Perspektive“, wann dies erreicht werden könne.

Jetzt müssten sich die Arbeitgeber bewegen, forderte indes PDS-Fraktionschef Harald Wolf. „Die Arbeitnehmer haben einen legitimen Anspruch auf 100-prozentige Angleichung in einem überschaubaren Zeitraum.“ Das Dilemma knapper Kassen einerseits und berechtigter Forderungen der Beschäftigten andererseits werde auf Dauer nur lösen können, wer neue Wege gehe. Fahrlässig sei gewesen, dass die Arbeitgeberseite keine Vorschläge zur Umverteilung von Arbeit und Einkommen im öffentlichen Dienst unterbreitet habe.

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