Mit Ikea-Pappen den Löwentanz zeigen

Die Kreuzberger „Chinese School of Martial Arts“ zeigt auf dem Karneval der Kulturen einen selbstgebastelten Mix aus Pekingoper und Kung Fu

von KIRSTEN KÜPPERS

Das ist auch ein Ergebnis des Karnevals der Kulturen: Die Kung-Fu-Gruppe tritt inzwischen bei Fitness-Studio-Eröffnungen, goldenen Hochzeiten und in Einkaufszentren auf. Wenn die Berliner Stadtreinigung nach dem Pfingstwochenende die letzten Thai-Food-Teller und Limonenschnitze aus den Büschen geklaubt hat und der Karneval für ein Jahr aus dem Stadtbild geräumt ist, macht die Kreuzberger Kampfkunstschule „School of Chinese Martial Art“ gleich weiter mit der Folklore.

Über 40-mal wurde die Hobby-Truppe nach dem Karnevalsumzug im vergangenen Jahr für Löwentanz- und Kung Fu-Auftritte gebucht. Es hat sich ausgezahlt, dass man auf der Parade Werbezettel verteilt hat. Für die rund 20 Mitglieder der Formation, die sich in einem anderen Leben in Berufen wie Schüler, Hausfrau, Physiotherapeut oder Versicherungsangestellter verdingen, heisst das: Immer wieder nach Feierabend und am Wochenende die Trommel aus dem Kofferraum packen, die Löwenmaske überstülpen und einem nicht zwangsläufig mit Asia-Affinität ausgestatteten Publikum akrobatische Kämpfe im klassischen südchinesischen Kung Fu Stil vorführen. Die Show kommt gut an. So gut, dass die Gruppe um den 29-jährigen blonden Kung-Fu-Lehrer Martin Brucks auch von der Chinesischen Gemeinde zum traditionellen Neujahrsfest bestellt wird, obwohl in dem Ensemble nicht ein einziger Asiate mitmacht.

Den religiösen Hintergrund hat Brucks sich von seinem eigenen Kung-Fu-Meister Zhuo Yuh aus Peking erklären lassen. Mündlichen Überlieferungen zufolge erfand der buddhistische Mönch Bohdidharma die Kung-Fu-Kunst, damit seine Mönchsschüler im Shaolin-Tempel in der Provinz Honan nicht stets bei den Meditationen einschliefen. Der Löwentanz soll die Idee von Respekt und historische chinesische Symbole vermitteln. Der Löwe ist demnach ein heiliges Tier und hat einen eigenen Platz in der chinesischen Mythologie.

Die „Chinese School of Martial Arts“ ist mit der Zurschaustellung der Exotik einer ihnen zunächst fremden Kultur typisch für viele der 120 auf dem Karneval der Kulturen promenierenden Tanz-, Trommel- oder Kostüm-Gruppen. Dass es sich bei dem Karnevalsspektakel insgesamt um eine oberflächliche Multikulti-Revue handelt, die eine gründliche Auseinandersetzung über kulturelle Unterschiede beiseite lässt, ist ein häufig vernommener Vorwurf. Bei solchen Nörgeleien wird jedoch stets geleugnet, dass eine reichlich verquaste Veranstaltung herauskäme, wollte eine Karnevalsparade einen solchen Anspruch einlösen. Schließlich ist ein Festumzug kein Uniseminar. Im besten Falle stellt er – wie beim Karneval der Kulturen – den Alltag kurzzeitig auf den Kopf und bringt Spaß. Wie Love Parade und Christopher Street Day trägt der Karneval auch nicht über Lautsprecher Forderungen auf die Straße. Vielmehr geht es darum, den Charme bestimmter Lebensmodelle zu inszenieren.

Auch für die Mitglieder der „School of Chinese Martial Arts“ ist der Karneval der Kulturen vor allem eine große Party – und keineswegs nur Werbeveranstaltung. Der 19-jährige Hanin freut sich auf „ein paar Tage nur Feiern“. Jeder Karnevalsstand repräsentiere „eine andere Welt“, alle seien plötzlich füreinander aufgeschlossen, schwärmt er. Andere nutzten den Umzug als Familienausflug: Mutter Özbek turnt mit vier Kindern mit, der Vater hat sich von seinem Chef den Lkw geliehen und ist auf der Parade als Fahrer eingespannt, die restliche Verwandschaft tummelt sich im Publikum.

Im November hat die „School of Chinese Martial Arts“ mit den ersten Vorbereitungen begonnen, inzwischen steht die Regie ihres Auftritts: Die Kinder werden als gelbe Äffchen zu chinesischer Musik um einen mit Lampions behängten Lkw toben. Auf dem Pritschenwagen – ein symbolisches Himmelreich – sitzt ein Affenkönig, der den Göttern Wein wegtrinkt. Voran schreitet ein bärtiger Mönch mit Reishut. Den Topakt bilden die Löwen. Sie kämpfen mit zackigen Kung-Fu-Bewegungen in einem Gewitter von Trommelschlägen, Luftsprüngen und Augendeckel-Klimpern gegen böse Geister.

Für den selbst gezimmerten Mix aus traditionellen Peking-Oper-Szenen und Kampfkunst-Einlagen trainieren Martin Brucks und seine Schüler in den drei Monaten vor dem Karnevalsumzug fünfmal pro Woche in einer ehemligen Kreuzberger Lampenfabrik. Damit er während der sechs Stunden, in denen er auf der Parade mit der Löwenmaske fuchteln muss, nicht schlappmacht, schnallt sich Hanin schon Wochen vorher Gewichte um die Handgelenke. Auf dem Karneval will man glänzen. Das sei nicht bei allen am Karneval teilnehmenden Gruppen so, klagt Brucks. Viele stellten einfach eine krachige Anlage auf einen Laster, laute Sambamusik an und fertig. „Der Umzug ist nicht mehr so originell wie früher“ findet Brucks.

Seine Kung Fu-Schüler mühen sich dagegen noch, die Requisiten für ihre immerhin 3.000 Mark teure Berliner China-Story zusammenzustoppeln: Die Pappen für die Verzierung des Lkws sind vom Ikea-Einkauf übrig geblieben, die roten Hemden der Musiker hat Brucks’ Freundin genäht, die Turnschuhe der Gruppe sind aus dem Asia-Sport-Shop, die Löwen-Masken aus dem Hongkong-Urlaub mitgebracht. Das traditionelle Make-up schminkt sich die Gruppe aus einem Bildband über die Peking-Oper nach. Noch malen die Kinder aber mit Filzstiften schwarze Kringel auf ihre Affen-T-Shirts. Über schillernde Choreografien machen sie sich keine Gedanken. Der elf-Jährige Granit hat das Karnevalsprinzip längst verstanden: „Wir müssen einfach nur rumzappeln wie Affen.“