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„Bis in die dritte Generation“

Weltpremieren auf dem Campingplatz: Das Jazzfestival Moers geht in seine 29. Auflage – vor einem im Schnitt 23 Jahre alten Publikum. Ein Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Burkhard Hennen

Interview CHRISTIAN BROECKING

taz: Moers 2000 klotzt. 400 Künstler in 45 Auftritten, 30.000 Zeltende, 100.000 Spaziergänger täglich und 25.000 verkaufte Tickets pro Jahr, Gesamtetat: 1,5 Millionen Mark. Ist Moers ein Selbstläufer?

Burkhard Hennen: Es klingt vielleicht etwas vermessen, aber wir können heute auf die Bühne stellen, wen wir wollen, das Zelt ist voll. Der Etat geht allerdings vor allem für die Infrastruktur drauf, Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen für 30.000 Camper täglich müssen herbeigeschafft werden. Vor und nach dem Festival ist der Ort des Geschehens ein beschaulicher Schlosspark.

Geht es also nicht mehr um Inhalte?

Doch, gerade deshalb können wir was riskieren.

Europäische big names stehen auf Ihrem Programm: Louis Sclavis und Ernst Reijseger. Was heißt da Risiko?

Guten Namen eine Carte Blanche zu geben. In diesem Jahr stellt der holländische Cellist Reijseger drei verschiedene Projekte vor, die allesamt Weltpremieren sind. Unser Hausmusiker, der Saxofonist David Murray, tritt seit 1976 bei uns auf. Er hat noch nie zweimal mit der gleichen Band hier gespielt. Was die großen Plattenfirmen wie Universal und Warner heute in ihrem Jazz-Katalog führen, hat vor Jahren bereits bei uns stattgefunden. Damals allerdings in der Independent-Version. Bobby McFerrin, Neneh Cherry, John Zorn, Bill Frisell – sie alle haben mal so angefangen. Und ich bin mir sicher, dass der kubanische Pianist Omar Sosa, der dieses Jahr in Moers spielt, schon bald bei einem Major unter Vertrag sein wird.

Macht Sie das neidisch oder stolz?

Die großen Plattenfirmen haben nur ein Interesse, sie wollen Geld machen, das ist auch im Jazz nicht anders. Unbekannte Künstler werden nicht gefördert, es gibt keine Promotion, sie halten ihnen nicht die Treue. Das gibt es nur bei kleinen Labels und unabhängigen Festivals – auch wenn große Firmen immer wieder versuchen, die Programmstruktur der Festivals mit Geld zu beeinflussen. Mir geht es darum, Musiken aufzuspüren, die Entwicklungspotenzial haben und diesen ein Forum zu geben. Kommerzielle Gesichtspunkte spielen dabei keine Rolle. Unsere Carte Blanche für Ernst Reijseger ist ein gutes Beispiel dafür. Er bestimmt, mit welchen Musikern er spielen will, und wir bringen sie zusammen. Das können sich kleinere Veranstalter nicht leisten, und größere kämen nicht auf die Idee, so etwas zu fördern.

Sie sind ja in der Provinz und müssen die Eventneurotiker, die es in einer Großstadt gibt, nicht scheuen.

In Moers hat man nichts zu verlieren, hier kann man ruhiger und besonnener arbeiten, als es in einer Metropole möglich ist.

Deshalb leisten Sie es sich, auf Amerikaner zu verzichten?

Wir haben diesmal nur drei amerikanische Bands gebucht, weil die europäische und japanische Szene im Bereich improvisierter Musik einfach viel spannender ist. So wird man aus Japan dieses Jahr in Moers das 52-köpfige Shibusashirazu Orchestra unter Leitung von Daisuke Fuwa hören können. Dabei haben die Japaner viel weniger Berührungsängste: Techno, Akrobaten, Schauspieler – das alles auf einer Bühne ist bei ihnen selbstverständlich. Die Europäer tun sich mit solcher Offenheit noch sehr schwer. Jedes Jahr reisen allein mehrere hundert Japaner nach Moers, um sich das Festival anzuschauen. Für die stellen wir dann Gruppenzelte, in die jeweils 120 Leute passen, und die Turnhalle zur Verfügung.

Das Zelten im Schlosspark ist gratis, die Karten ab 55 Mark pro Tag relativ billig. Inwieweit gehört das zum Konzept?

Wir beobachten seit langem schon, dass sich durch das Zeltlager unser Publikum ständig erneuert und verjüngt hat. Unser Publikum ist sehr jung, statistischer Schnitt: 23,4 Jahre. Und wir bieten Jugend- und Kindertickets ab 20 Mark pro Tag an. Die Moerser, die heute mit ihren Kindern durch den Park wandern, sind mit unserem Festival aufgewachsen. Das reicht jetzt schon bis in die dritte Generation.

Gibt es Netzwerke im Independent-Festival-Bereich?

Wir haben vor einem Jahr Tecmo, Trans European Creative Music Organizers, gegründet. Tecmo repräsentiert den Zusammenschluss der künstlerischen Leiter von dreizehn europäischen Festivals. Das ist keine Opa-Party, Majors sind nicht erwünscht. Unsere Programme leben von der direkten Kommunikation mit Musikern und der Entwicklung und Förderung gemeinsamer Visionen. Die meisten Musiker, die in Moers auftreten, haben ihre eigenen Labels, weil sie keinen gefunden haben, der das für sie tut. Den Trompeter Hugh Ragin, FM Einheit und die französische Großformation Le Grotorkèstre eint, dass sie in Moers ihre selbst produzierte Musik aufführen und ihre CDs verkaufen. Das ist für mich independent: dass die Musiker selbst bestimmen, welche Musik auf ihren Platten zu hören ist.

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