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Angeschwemmt

Aus einer anderen Welt: Die Schriftstellerin Maike Wetzel zeigt im Grünen Salon ihren Film „Stranded“

Jurys beeindrucken – darin ist Maike Wetzel ziemlich gut. Die meisten Texte, die sie bei Literaturwettbewerben eingereicht hat, haben Preise bekommen, und einige davon sind mittlerweile als Buch („Hochzeiten“) erschienen. Kein Wunder also, dass sie auch die Aufnahmekomission der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film überzeugen konnte: Maike Wetzel fotografierte feine alte Damen, die vor einem Wiesbadener Nobelrestaurant mit ihren Hündchen herumspazierten und schrieb einen Text dazu.

So wurde vor sechs Jahren aus der Rüsselsheimer Abiturientin eine Münchner Filmstudentin. Sie hatte schon einige Erfahrung als Lokaljournalistin und behielt zunächst auch bei ihren Filmen die dokumentarische Form bei. Es entstanden ein Porträt über einen jungen Autor, kleine Beiträge für eine Videozeitung und letztes Jahr eine Fernsehreportage über eine Familie in Tschernobyl.

Als erste längere Dokumentation hatte sie einen Film über Vidal Sassoon geplant, doch die Firma verweigerte die Drehgenehmigung. Dann eben nicht, dachte sich Maike Wetzel und zog für ein Studienjahr in den englischen Küstenort Bournemouth. Sie fand einen Vergnügungspier und interessante Menschen: den Pierwärter Nick, der das Glück einer monotonen Arbeit erklärt, die Seherin Nina, die den Kunden Bilder aus deren früheren Leben malt, oder den Theaterbesitzer Mike, der von seinem ersten Auftritt als Travestiekünstler erzählt. Sie alle sind hier angeschwemmt worden – „Stranded“, so heißt der Film.

Maike Wetzel begleitet die Menschen unaufdringlich und ohne zu kommentieren. Manchmal schaut sie einfach nur zu, und so gelingen ihr die schönsten Bilder dieses goldgelb schimmernden Films. Dann tanzt zum Beispiel ein Pärchen im großen Saal des Piers Tango, während ganz nah am Fenster zwei Schornsteine eines Dampfers vorbeiziehen.

Fast könnte man glauben, diese Szene stammte aus einer Kurzgeschichte der Regisseurin, in denen die Menschen oft genauso weltfern wirken wie hier. Tatsächlich auf einer ihrer Erzählungen basiert der Kurzfilm „Hochzeiten“, den die 25-jährige Bald-Berlinerin gerade fertig gestellt hat. Einfach abfilmen ließ sich die Vorlage allerdings nicht: „Ich habe bestimmt 20 Drehbuchfassungen geschrieben“, sagt Maike Wetzel, die dabei von Tankred Dorst unterstützt wurde. Der Film unterscheidet sich vor allem atmosphärisch von der Erzählung. Er wirkt wesentlich realer und greifbarer als sein Papier-Vorbild. Inhaltlich sind beide nahezu identisch: Die Mutter der unglücklich verliebten Rosalie heiratet einen arabischen Mann, der viel jünger ist als sie. Vor der Hochzeit schläft Rosalie mit ihm und wird schwanger. Gezeigt wird – wie in der Geschichte – nur der dicke Bauch.

Maike Wetzel erzählt beiläufig, und man merkt, dass sie Regisseure wie Erick Zonca oder Claude Lelouch mag, die eher auf kleine Gesten als auf dramatisch inszenierte Momente setzen. Wenn „Hochzeiten“ die Programmjury der Hofer Filmtage überzeugt, hat der Film im Herbst Leinwandpremiere.

NADINE LANGE

„Stranded“ ist heute um 20 Uhr im Grünen Salon der Volksbühne zu sehen. Maike Wetzel liest außerdem aus ihrem Erzählband „Hochzeiten“.

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