piwik no script img

Null Toleranz für Hebammen

Die CDU hat ein überaus schlüssiges Papier zur Verbrechensbekämpfung vorgelegt

Auch wenn derzeit alle Gewalt von deutschen Kampfhunden auszugehen scheint, geht die Kriminalität und insbesondere die organisierte Kriminalität weiter unverdrossen ihrem ruchlosen Tagwerk nach. Was tun? Leinen- und Maulkorbzwang, Import- und Zuchtverbote sowie Einschläferung haben auf zivilgesellschaftlichem Terrain einen leicht anrüchigen Beigeschmack, und die gegebenen Gesetze sind zwar schön und gut, aber sie greifen nicht richtig, haben Löcher, sind viel zu lasch. Dem wollen die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag und die unionsregierten Bundesländer endlich einmal Einhalt gebieten.

In der vergangenen Woche haben sie in Berlin ein Papier zur organisierten Verbrechensbekämpfung vorgestellt, das den Titel „Null Toleranz bei Rechtsbruch“ trägt. Es sieht für Alltags- und Hausgebrauchsdelikte wie Schwarzfahren, Graffiti-Sprayen, Eierdiebstahl ein hartes Durchgreifen vor, zum Beispiel Fahrverbote auch für nicht verkehrsbezogene Tatbestände. Ebenfalls „Null Toleranz“ soll grobmotorischen Jugendlichen gewährt werden, ihnen werden Unannehmlichkeiten angedroht wie Meldepflicht, Warnarrest und als so genannte Ultima Ratio bei wiederholtem Schulschwänzen: die Einweisung ins Heim.

Dass die Deutschen sich wieder auf ihre ominösen Tugenden besinnen möchten, war während der zurückliegenden Europameisterschaft eine immer gern in Anschlag gebrachte Maxime. Den Blockwächtern der Union zufolge müssen dies die Tugenden des Anschwärzens, Denunzierens und Ausspionierens sein. Konsequent fordern sie noch mehr Videokameras auf Straßen und Plätzen und außerdem anlassunabhängige, also willkürliche Personenkontrollen – wer da schief lacht und ungekämmt am Bahnhof steht, wird abgeführt. In Parkanlagen sollen Bürger Streife laufen und Delinquenten, die unerlaubt die Wiese queren, beim nächstgelegenen Polizeirevier abliefern. Ob geknebelt oder nur gefesselt, lässt das Null-Toleranz-Papier der CDU/CSU offen, das heißt, hier sind der Fantasie der Bürger keine Grenzen gesetzt.

Außerdem will die Union die Überwachungsrechte ausweiten und alle Ausnahmen streichen lassen. Tummelplätze des organisierten Verbrechens vermutet sie in Wohnungen von Ärzten, Journalisten, Apothekern, Steuerberatern und – ... Hebammen! Ja, auch Hebammen. Sie sollen künftig – stöhn! keuch! würg! – abgehört und kameraüberwacht werden, um Schiebereien und Pressschwindel im Kreißsaal endlich auf die blutige Schliche zu kommen. Null Toleranz für Hebammen, diese Geburtshelferinnen aller Paten, Advokaten und Satrapen von Schurkenstaaten! Und für Ärzte natürlich dito! Besonders die Proktologen sollten genauestens überwacht werden, wenn sie ihren Patienten Hämorrhoiden oder Analekzeme aus dem Enddarm klauben. Es wird Zeit, dass die Polizeikameras da mal richtig ranzoomen. Auch bei den Ärzten für Haut- und Geschlechtskrankheiten liegt vieles im Argen und muss rund um die Uhr genauestens observiert werden.

Überraschenderweise hat das CDU/CSU-Papier auch erstaunliche Lücken. Unerklärlich ist, warum etwa die Halbzeitkabine der deutschen Fußballnationalmannschaft, diese Brutstätte des organisierten Verbrechens, weiter unüberwacht bleiben soll. Ebenso etwa die Schlafzimmer zölibatär konditionierter Pfarrer, Bischöfe und Kardinäle. Oder die Lohnbüros von Großgastronomen, die ihren halb angestellten Afrikanern vierachtzig die Stunde zahlen. Es gibt weit mehr zu überwachen, als unsere Unionsfreunde uns glauben machen wollen. Auch die deutsche Bundesregierung böte sich hier für eine Dauerzielfahndung an, wie sie ja die DDR-Staatssicherheit schon erfolgreich vorgemacht hat. Das wäre überhaupt die Lösung: Schwarzfahrer, Eierdiebe und auch die Hebammenschaft sind der reinste Firlefanz / das Kanzleramt benötigt sie zuerst: Null Toleranz. RAYK WIELAND

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen