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Ein Medienspektakel und seine FolgenDer Kampfhund als Volksschädling

Eine Polemik

Diskussion und politisches Handeln um die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung, die von bestimmten Hunderassen ausgeht, haben inzwischen eine Form angenommen, die zunehmend von hässlichen Misstönen und bedenklichen Begleiterscheinungen geprägt wird. Die nahezu völlige Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, die Brachialgewalt einzelner Maßnahmen und die öffentliche, einhellige Stigmatisierung einer kleinen Bevölkerungsgruppe gewinnen dabei eine politische Dimension, die den Rahmen der Sachproblematik weit überschreitet. Das eigentlich Beunruhigende an diesem Vorgang ist das nahezu völlige Versagen kritischer Medienöffentlichkeit. [. . .]

Nach dem Tod eines Kindes durch die Beißattacke eines Pitbullterriers ist die öffentliche Aufregung berechtigterweise groß. In den folgenden Tagen prasseln in breiter Front die immer gleichen suggestiven Bilder zähnefletschender Hunde sowie entsprechender Schlagzeilen, Artikel und reißerisch aufgemachte Fernsehberichte auf die Öffentlichkeit ein. Die Botschaft: Die öffentliche Sicherheit (also wir alle) ist massiv bedroht. Schlagzeilen und Artikel fordern die Ausmerzung der Schädlinge.

Besitzer von Tieren inkriminierter Rassen werden dabei zunehmend als Kriminelle und Asoziale diffamiert oder als schädliche Außenseiter, deren Vorliebe für eine Hunderasse in den Bereich des Pathologischen gerückt wird. Es bleibt festzustellen, dass sich diese Leute in der Regel nichts haben zuschulden kommen lassen. Dennoch werden sie von den Medien zur öffentlichen Zielscheibe gemacht. Die Folge: Anfeindungen, Pöbeleien und sogar Tätlichkeiten auf der Straße nahmen rapide zu. Diese bedenklichen Auswüchse werden offenbar billigend in Kauf genommen und sind den Medien keine Zeile oder ein Wort wert.

Führende Politiker wie Schily versteigern sich zu einer Sprache, die keinerlei Bindung mehr an geltende Rechtsnormen erkennen lässt. So verkündet Schily, er sei dafür, die denkbar schärfsten Maßnahmen zu ergreifen: eine Formulierung, die das Denkbare und damit ohne Weiteres das Bedenkliche in den Bereich des Möglichen rückt – eine Semantik des inneren Notstands. Ein öffentlicher Diskurs im Sinne einer Auseinandersetzung widerstreitender Positionen findet nicht statt. [. . .]

Auffällig ist, dass eine genaue Definition der verwendeten Begriffe nicht stattfindet. Mal ist ein Kampfhund diese, mal jene Rasse, dann wieder wird undifferenziert jeder große Hund, der beißt oder von dem man annimmt, dass er es tun könnte, zum Kampfhund. An anderer Stelle werden zu Kampfhunden alle Hunde erklärt, die auf Menschen abgerichtet werden. Nach dieser Definition müssten mindestens 20 bis 30 weitere Rassen in die derzeitigen Listen aufgenommen werden. [. . .]

Die schwammige Begriffsbildung ermöglicht eine breite Bündelung vorhandener Ressentiments und macht den „Kampfhund“ und seine Besitzerin zur idealen Projektionsfläche. Hier finden diffuse soziale Ängste und Frustrationen ihr Objekt.

In der kollektiv betriebenen Ausgrenzung und Stigmatisierung sowie der öffentlich inszenierten, gefeierten Tötung von Tieren gewinnen sie eine zutiefst politische Dimension: der „Kampfhund“, das Fremde, Bedrohliche, zu Vernichtende, über dessen Ausgrenzungen sich eine kollektive Identität herstellt. Das Feindbild „Kampfhund“ wird dabei mehr oder weniger bruchlos auf die Halter übertragen. Die Entwicklung der letzten Tage hat gezeigt, dass offensichtlich auch der in seinem Selbstverständnis kritische Teil der Öffentlichkeit problemlos zu manipulieren und instrumentalisieren ist, solange die damit einhergehende Begriffsbildung nicht am eigenen Selbstverständnis kratzt. Wenn die Häufung tragischer Einzelfälle auf ein allgemeines Problem hinweist, mag rasches Handeln geboten sein. Wenn dabei pogromähnliche Mechanismen zu wirken beginnen, wenn eine gleichgeschaltete Berichterstattung undifferenzierte „Kopf-ab“-Parolen kolportiert, und Ängste und Aggressionen in verantwortungsloser Weise anheizt, wenn die Bewältigung eines gesellschaftlichen Randproblems zur inneren Notstandsübung gerät, dann sollten eigentlich hier und da die Alarmglocken zu läuten beginnen – es wäre langsam an der Zeit, gerade auch in dieser Zeitung.

MARKUS STEUER , Berlin

Nun also ein Diskurs über den Kampfhund. Die üblichen Frontlinien. Drastik und primitive Emotionalität (Hetze) der Boulevardpresse. Empörte Opfer, einige wirkliche, die meisten via Mitgefühl. Eine Politik unter öffentlichem Handlungsdruck. Auf der anderen Seite immer leiser werdende Kampfhundebefürworter. Zudem mahnende Aufklärer, die auch dem Kampfhund und seinem Herrn ein Recht auf ein faires Verfahren zuerkennen.

[...] Es trifft zu, dass, wenn die Entscheidung für den Kampfhund wegen mangelnder sozialer Geltung getroffen wird, dies, also soziale Ab- und Ausgrenzung, das eigentliche Übel ist und der Kampfhund nur Symptom. Auch rechtsradikale Gewalt oder Hautausschlag sind in den meisten Fällen Symptome tiefer liegender Prozesse. Muss man sie deswegen hinnehmen, auch wenn die Möglichkeit besteht, sie durch einfache, kurzfristig wirksame Maßnahmen einzugrenzen?

Es dürfte klar sein, dass die kurzfristige Symptombekämpfung nicht anstelle tiefenwirksamer Maßnahmen erfolgen sollte. Es ist aber nicht erkennbar, warum man auf Symptombekämpfung – und sei es nur auf eine von bürgerlich-ästhetischem Empfinden motivierte – verzichten sollte, sofern man sich dadurch im Hinblick auf die zugrunde liegende Krankheit nicht selbst betrügt.

Es trifft zu, dass eine aufgeheizte Öffentlichkeit sich mitunter zu Forderungen hinreißen lässt, die einem besonnenen Menschen zuwider sein müssen. Die Forderung nach Abschaffung von Kampfhunden muss einem besonnenen Menschen nicht zuwider sein, denn besonnene Menschen hätten eine Verbreitung von Kampfhunden im heutigen Ausmaß nicht zugelassen. [...]

CHRISTOPH BRIEGER , Berlin

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