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Meister des Chorus Interruptus

■ Die virtuell bekifften drei „Feinen Herren“ präsentier(t)en im Brauhauskeller des Bremer Theaters ihr Sommer-Varieté-Programm

Herr Frisch will das Publikum anzünden – das ist doch schon mal was! Herr Clüver entpuppt sich als ein böser Poet, der nicht nur in „Nasenflöten“ schnaubt, sondern sie auch noch auf „Hasenföten“ reimen lässt – auch nicht schlecht! Herr Scheibe singt vom Lustmord an der Nachbarin und mordet dabei den schönen Jazzsong „Everything happens to me“ ruchlos dahin – bravo! Das sind sie, die „Feinen Herren“, die drei hanseatischen Mus(i)ketiere, die in dieser Woche auszogen, das Sommerloch mit „zügellosem Hedonismus“ zu füllen und die Stadt zu unterhalten.

Jeden Tag bis in den August hinein werden sie im Brauhauskeller des Theaters am Goetheplatz aufspielen. Während fast alle anderen Kulturschaffenden der Stadt Urlaub machen und dem deutschen Sommer entfliehen, steigen sie freiwillig abends in den dunklen Keller hinab und unterhalten das Volk: „Wenn das Werk lächelt, weint der Künstler“, zitiert Herr Scheibe von der Bühne herunter und gibt damit nicht nur (zum wiederholten Male) mit seiner umfassenden Bildung an, sondern bringt auch sein eigenes existentielles Dilemma auf den Punkt. Aber das muss das Publikum ja nun wirklich nicht kümmern, und so kann man sich jeden Abend ab 20.30 Uhr bei den Auftritten der „Feinen Herren“ unbeschwert an ihrem aus Leid erschaffenen Unsinn erfreuen.

Von Anfang an fällt auf, dass die drei Meister des Chorus Interruptus sind: Kein Lied wird ohne Unterbrechung gespielt, nichts geht ohne wilde Stilwechsel oder lange Zwischentexte, die hier nicht wie sonst üblich zwischen den Liedern, sondern meist zwischen Refrain und Strophe platziert werden. Denn immer wieder werden die drei hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zur Musik (sie sind begabte Multiinstrumentalisten, in viel Stilen bewandert, und Herr Clüver kann gar Bass und Schlagzeug gleichzeitig spielen) und ihrem wohl eher doch dekonstruktivistischen Humor.

Ihr Ehrgeiz ist es, das Publikum so oft wie nur irgend möglich zu überraschen und zu verwirren. Wenn die Witze dabei oft haarscharf über das Publikum hinweg zielen (wirklich laute Lacher gibt es selten): um so besser! Wenn die Mischung aus infantiler Alberei, brillanter Klugscheißerei und musikalisch virtuosem Allerlei es schwer macht, genau zu beschreiben, was man da gerade miterlebt und warum es einen zugleich so fasziniert und amüsiert: So soll es sein, so soll es sein, so wird es sein!

Ein paar Ankerhaken haben die drei dann doch netterweise ausgeworfen, damit das Publikum nicht völlig orientierungslos von diesen Schlagerwellen, poetischen Brechern und dadaistischen Wortwogen hin- und hergerissen wird. Als Leitmotive tauchen in ihren Liedern immer wieder solche lokalen Fixpunkte wie die Bremer Sparkasse und die Bremer Straßenbahn AG auf. Auch ihr städtischer Lieblingsinstrumentenbauer wird in einem Lied verewigt, und ihrer Stammkneipe widmen sie mit „Komm doch mit mir in den Haltepunkt“ gar eine ganze Hymne.

Im Grunde sind diese „Feinen Herren“ unsere Stadtsänger, aber gemäß dem Motto „Buten & Binnen, wagen und winnen“ sind sie auch weltläufig, singen französische Chansons oder spanische Lieder über Juanitas und alte Männer, und Herr Scheibe spielt als Bogeyman den Boogiewoogie (gänzlich unbremisch) mit dem Fuß auf dem Piano.

Da werden sie dann doch wieder vom Teufel geritten, die drei „Feinen Herren“. Vielleicht liegt es ja am übermäßigen Genuss von Marihuana, den die drei auf der Bühne zwar nur mimisch darzustellen vorgeben, aber ihre Reggaemusik hört sich gleich darauf so dämonisch bekifft an, wie sie „feine Herren“ mit klarem Kopf nie spielen könnten.

Was geht also vor im Brauhauskeller? Ist dies in den nächsten Wochen ein Hort der Künste oder des Lasters? Sehen Sie selbst, der Rezensent ist ratlos! Wilfried Hippen

„Die Feinen Herren“ zeigen ihr Night-Varieté mit täglich wechselnden Showteilen und Gästen an jedem Abend bis zum 6. August ab 20.30 Uhr im Brauhauskeller. Karten gibt es unter Tel.: 365 33 33

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