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Überdrüssig der Wunder

Götter sind auch nur Menschen: Auftakt in Bayreuth mit Jürgen Flimms „Rheingold“

„500 Mark? Na gut, sagen wir 550“, sagt der Schwarzhändler für „Ring“-Karten in Abänderung üblichen Handelsgebarens zur Kundin. Er trödelt so per Fahrrad ums Festspielhaus herum und darf sich nicht erwischen lassen. Die Saison ist eröffnet.

Alle recken die Hälse, wenn Wolfgang Wagner auftaucht, immer in Eile, immer angriffslustig, vielleicht auch in seinem unablässigen Redefluss ein Abbild seines Großvaters: „Ich hab die Belastung, der Enkel Richard Wagners zu sein, mich kann jeder beleidigen . . .“ Die Nachfolge-Diskussion hat sich nicht wirklich weiter bewegt, wer denn nun aus dem Wagner-Clan es sein könnte, dürfte, müsste oder auch nicht, aber jetzt sind erst einmal die Festspiele dran. Waffenstillstand.

Bayreuther Jugendliche hören im Park des Festspielhauses Rap, nahe der Stelle, wo gestern die PDS gegen Frau Ferrero-Waldner als Haider-Koalitionärin protestierte. Und während in der Bahnhofsbuchhandlung auch Band 27 von Prinz Eisenherz mit dem Titel „Die Suche nach dem Gral“ angeboten wird, beim „Jagd- und Fischereibedarf“ ein Original-Brustpanzer aus Heiner Müllers „Tristan“ das Fenster schmückt und Rosalie, die Bühnenbildnerin des letzten „Rings“, bunte Männchen eine Hausfassade hinaufschickt – die Roten gewinnen –, ist das Ereignis dieses Sommers ganz bescheiden der „Jahrtausend-Ring“, inszeniert von Jürgen Flimm, dem ideologisch so unverdächtigen Pragmatiker.

Jürgen Flimm, gerade verabschiedeter Thalia-Prinzipal und mit vielen Opern-Wassern gewaschen, hat zum ersten Mal einen Wagner inszeniert, hier also die vier Abende eines Dramas um Macht und Zerfall und Betrug, Weltauf- und Untergang. Er bezieht sich auf die Entstehungszeit des „Ring“ im Umfeld der Revolution von 1848 und Wagners feurige Beteiligung daran, zusammen mit dem Genossen Bakunin auf Dresdens Barrikaden: „Ich will zerstören von Grund auf die Ordnung der Dinge. Ich will zerstören jeden Wahn, der Gewalt hat über Menschen . . .“

Auf der Bühne sehen wir im „Rheingold“ dazu die Variante einer abgewirtschafteten Mafia-Gesellschaft: Es beginnt mit einem übernächtigten Wotan, zu viel getrunken, zu viel geraucht. Frau Fricka räumt die Flaschen zusammen. Sie hört sich stoisch die Jammeriaden ihres Mannes an, ein Großsprecher und Selbstbetrüger. Götter sind Menschen, manchmal sogar ziemlich unsympathische.

Die Rheintöchter sind bei Flimm, dem das Heutige so wichtig ist, leider wenig mehr als drei liebe doofe Girlies, ununterscheidbar außer an der Stimmlage, mit Pferdeschwanz, Badeanzug und coolem Gehabe. Der Feuergott Loge wird zum fixen Anwalt mit weißem Anzug und unverzichtbarer Aktenmappe, der immer, wenn es ernst oder pathetisch zu werden droht, den Kasper gibt und damit schnell zum Publikumsliebling avanciert. In den Bühnenbildern von Erich Wonder sehen wir versunkene Boote auf dem Grunde des Rheins, einen gelenken Fahrstuhl zwischen Ober- und Unterwelt, die Arbeiter-Nibelungen als Engerlinge in Computeranzügen wie aus Silicon Valley. Alles sehr heutig, alles ziemlich depressiv. Vorherrschend ist der Typ des abgewirtschafteten Machers im zerknitterten Trench – so sind wir doch alle . . . sind wir das?

Überdrüssig der Wunder, die es aber im „Ring“, diesem Märchen für empfindliche Erwachsene, haufenweise gibt. „Keine Liebe, nirgends“ – kommentiert Flimm. Es war dies der Beginn einer nervösen und gleichzeitig schleppenden Geschichte, die musikalisch aber unter Giuseppe Sinopoli anders erzählt wurde: zart, sehnsüchtig, klar. Vielleicht war es gerade diese Mischung, die ins Herz traf: Jubel, Trampeln und Erwartung in die übrigen drei Abende, Kusshändchen von Flimm für alle . . . SABINE ZURMÜHL

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