: Sachwalter von Kapitalinteressen
betr.: „Wahnsinn Wachstum“ von Rainer Wagner, „Grüne auf dem Weg der FDP“, taz vom 18. 7. 00
[...] Die Wagnersche Rechnung mit der Verzinsung einer Geldeinheit zu fünf Prozent ab dem Turmbau von Babel vor 2.700 Jahren zu dem real unmöglichen Kapital von 46 mal zehn hoch 36 macht die „Unmöglichkeit“ des dennoch 3.000 Jahre möglichen System deutlich.
Heute ist es die Frage, ob die sich verzahnenden Krisen des Kapitalismus in den Bereichen Arbeit, Soziales, Finanzen, Ökologie, Frieden, Wertesystem noch rational steuerbar sind, oder – je länger systemverändernde Alternativen (der so genannte Sozialismus war keine Alternative, sondern nur seine staatskapitalistische Variante) hinausgeschoben werden – in einer Art Endkrise die Menschheit in Zustände weit vor diesen 3.000 Jahren zurückwerfen wird. Diese Gefahr zwingt über noch rechtzeitige Alternativen zur Zinswirtschaft nachzudenken.
Wie nötig dies die Grünen hätten, zeigt auch das Streitgespräch „Grüne auf dem Weg der FDP“. Ohne grundsätzliche Lösungen – erster Schritt dazu ist die „Entmystifizierung der absurd gewordenen Wachstumsdynamik“ – „gerät jeder soziale oder ökologische Politikversuch zur hilflosen moralischen Geste“ (Wagner). Die neue Regierung – gewählt für eine neue Politik – wurde sehr schnell zum Gefangenen der Kapitalinteressen, weil SPD wie Grüne es ablehnten, sich mit den Geldreformideen ihre liberalsozialistischen Gruppierungen auseinanderzusetzen und ohne Alternativen zum Kaptialmus keine neue Politik verfolgen können. [...] In Sachen MAI und WTO stehen sie auf Seiten der transnationalen Konzerne und gegen den weltweiten Widerstand. Mit der Steuerreform begünstigen sie das Großkapital in der eitlen Hoffnung, das werden dann tüchtig investieren statt spekulieren. Statt mit der Gesundheitsreform durch konsequente Vorbeugungspolitik die Volkskrankheiten auszurotten, wird an den Gebühren herumgedoktert und das Krankenhaussystem zum Nutzen der Pharma erhalten. Und der so genannte Energiekonsens bringt nach Eingeständnis der auf der BDK verabschiedeten Zustimmung nicht einmal ein definitives Ende des Atomzeitalters.
Immer stärker entwickelt sich die Partei zum Sachverwalter von Kapitalinteressen. Dabei fallen ab und an Zugeständnisse ab, mit denen der Kapitalismus „sozial und ökologisch eingehegt“ wird, mehr ist nach Joschka Fischer („Die Linke nach dem Sozialismus“) ohnehin nicht drin. Rainer Wagner und die taz sollten nach der Analyse des Zinssystems nun an die Entwicklung einer Alternative einer wachstums- und rüstungsfreien, zu sozialer Gerechtigkeit tendierenden ausbeutungsfreien und den Weltfrieden sichernden Sozialordnung gehen. [...] GEORG OTTO, Eberholzen
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