: Anarchie war gestern
Als der Internet-Provider Snafu antrat, träumten die Firmengründer von herrschaftsfreier Kommunikation. Jetzt zwingt der Markt zum Mainstream
von FELIX WÜRTENBERGER
Verständigung ist nur unter Gleichen möglich, Hierarchie zerstört Kommunikation. Mit dieser Philosophie ist Snafu als Berlins erster kommerzieller Anbieter von privaten Internet-Zugängen 1994 angetreten. Damals war das Internet noch ein Geheimtipp, seine Nutzer träumten von Netzanarchie und der Gleichheit aller im neuen Medium. Sechs Jahre später steht das Unternehmen vor einschneidenden Veränderungen, die wenig mit Philosophie, aber viel mit den Gesetzen des Marktes zu tun haben.
Zwei Jahre nach der Übernahme durch den amerikanischen Internetriesen PSINet soll Snafu jetzt ein neues Gesicht bekommen. Denn PSINet hat neben Snafu noch etliche andere Anbieter weltweit aufgekauft und will unter dem Namen inter.net ein weltumspannendes Netz von so genannten Portalen aufbauen, also Internet-Seiten mit Informations- und Service-Angeboten von Nachrichten über Lifestyle bis hin zu Billigflügen.
Zugänge ins weltweite Netz wird Snafu auch unter dem neuen Namen anbieten, vom Internet-Providing allein aber hätte das Berliner Unternehmen dauerhaft nicht mehr leben können. „Wir verlieren Kunden an günstigere Konkurrenten“, beklagt Snafu-Mitarbeiter Ole Rönnau. Etwa 18.000 Kunden hat Snafu derzeit, die meisten davon in Berlin. Das ist minimal im Vergleich zu den Marktführern T-Online und AOL, die ihre Nutzer nach Millionen zählen und entsprechend billiger sind. Mit dem Portal sollen in Form von Werbebannern und E-Commerce neue Einnahmequellen erschlossen werden.
Neu ist diese Idee nicht. Portale gibt es im Internet zuhauf. Sie sollen das bieten, was im Netz so schwer zu bekommen ist: Orientierung. Mit thematisch geordneten Informationen und Link-Sammlungen werden Netzbesucher unter professioneller Führung durch den Dschungel des World Wide Web geleitet. So jedenfalls der Anspruch. In Wahrheit verstecken die meisten Portale die kommerziellen Interessen ihrer Anbieter mehr schlecht als recht. Wer eine Buchbesprechung liest und gleich darunter den Button findet, der ihn zum Kauf des Buchs per Mausklick auffordert, wird sich zur Unabhängigkeit des Rezensenten seinen Teil denken.
Die Portalanbieter haben keine andere Wahl: Da Information im Netz kostenlos ist, sind sie zur Kooperation mit Online-Shops gezwungen, um über Gewinnbeteiligungen die Kassen zu füllen. Mainstream hat also Hochkonjunktur, Qualität ist zweitrangig.
Mit den Snafu-Überzeugungen der ersten Stunde scheint das unvereinbar. Für die Firmenväter Robert Rothe und Jörn Lubkoll war der Name Snafu einst Programm: situation normal all fucked up verbirgt sich dahinter. Das heißt so viel wie: In den althergebrachten Systemen funktioniert überhaupt nichts, und ganz bestimmt keine Kommunikation. Dem wollten Rothe und Lubkoll die schöpferische Anarchie eines herrschaftsfreien Internets entgegensetzen. Was heute nach rührend naivem Idealismus klingt, gab damals die euphorische Stimmung der Internetfreaks wieder und verschaffte dem jungen Provider schnell Kult-Status.
Ist dieses Image noch zu halten, wenn Snafu im Herbst sein Portal ins Netz stellt? „Aus finanziellen Gründen müssen wir Mainstream anbieten“, sagt Rönnau. Man wolle aber versuchen, so viel wie möglich vom alten Stil und Inhalt „herüberzuretten“. „Inter.net gibt uns Design und Rubriken vor. Wie wir sie füllen, bleibt uns überlassen.“ Diese relative Unabhängigkeit will das Snafu-Team nutzen: Von anderen Portalen soll sich die deutsche „inter.net“-Seite durch einen eigenen Stil unterscheiden. „Einiges wie die Surftipps und die Nachrichtenrubrik ‚Sins‘ können wir eins zu eins von der alten Snafu-Seite übernehmen.“
Ob das reicht, um alte Fans zu halten, weiß auch Rönnau nicht zu sagen. Probleme mit dem Underground-Image hat Snafu aber nicht erst jetzt. „Vor vier, fünf Jahren hatten wir noch viele Kunden aus der Hacker-Szene, inzwischen sind etliche abgesprungen.“
Vielleicht sagt der neue Name „inter.net“ mehr aus, als dem Unternehmen lieb sein kann. Denn seine Geschichte könnte beispielhaft für das Medium Internet als Ganzes stehen. Einst Spielwiese für eine geheimbündlerische Gemeinde weniger Freaks, hat sich das Internet längst zum Massenmedium gemausert. Dennoch wird das „Snafu-Prinzip“ auf den neuen Seiten wieder als Credo auftauchen und vom Kommunikationsparadies in einer Welt ohne Hierarchien künden. Der Abschied fällt eben schwer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen