: Neue Frist für Fristenlösung
Frankreichs Regierung will Abtreibung reformieren. Abbruch bis zum dritten Monat straffrei. Minderjährige dürfen auch ohne Plazet der Eltern abtreiben
PARIS taz ■ „Ich habe abgetrieben“, bezichtigten sich Anfang der Siebzigerjahre 343 prominente „Schlampen“ öffentlich. Ihre Aktion hatte Erfolg. Nach leidenschaftlichen Debatten verabschiede Frankreich 1975 eines der fortschrittlichsten Gesetze in Sachen Schwangerschaftsabbruch.
25 Jahre danach ist das Land heute Schlusslicht in Europa: Die Frist für Schwangerschaftsabbrüche beträgt nur 10 Wochen; jährlich müssen mindestens 5.000 Frauen ins Ausland reisen, weil sie in Frankreich keinen Termin bekommen haben; in sehr katholischen Regionen trauen sich Krankenhäuser kaum, Abtreibungen durchzuführen. Mädchen unter 18 brauchen das Ja der Eltern für einen Abbruch, und die Organisationen der katholischen und oft rechtsextremen „LebensschützerInnen“ behindern nicht nur GynäkologInnen bei der Arbeit, sondern auch die Familienpolitik der Regierung mit Klagen.
Im Herbst könnte sich dieser Reformstau lösen. Im Oktober will die rot-rosa-grüne Regierung das 1975 verabschiedete Gesetz reformieren. Neben der Verlängerung der Frist auf 12 Wochen soll Schwangeren unter 18 Jahren die Möglichkeit gegeben werden, notfalls ohne Wissen der Eltern abzutreiben. Nebenbei soll auch die Vergabe der „Pille danach“ an Minderjährige durch Schulkrankenschwestern gesetzlich geregelt werden.
Die sozialistische Ministerin Martine Aubry wartete die Sommerpause ab, um die drei Vorhaben anzukündigen. Trotzdem lösten sie heftige Reaktionen aus. Frauengruppen und Familienplanungszentren lobten die Ministerin. Erwartungsgemäß sprachen die katholischen Bischöfe von einem „neuen Angriff auf das menschliche Leben“.
Doch die Kritik des Mediziners Israel Nisand war überraschend. 1999 hatte er im Auftrag der Regierung einen Bericht über Abtreibungen in Frankreich vorgelegt, den Aubry zur Begründung ihrer Reformen zitiert. Dennoch spricht Nisand sich jetzt gegen eine generelle Verlängerung der Abtreibungsfrist aus. Stattdessen plädiert er für Einzelfallprüfungen, um „die Gefahr des Eugenismus“ einzudämmen. Sein Argument: Frankreich verfüge über eine fortschrittliche Ultraschalldiagnostik. In der zwölften Woche seien neben dem Geschlecht des Fötus auch kleine Missbildungen erkennbar. Das könne bewirken, dass Schwangere unter Druck gesetzt würden, abzutreiben.
Aubry widerspricht dem. „Frauen brauchen keine Bevormundung und wollen auch nicht wie Kinder behandelt werden“, sagte die Ministerin, die das Reformpaket noch vor ihrem für Herbst angekündigten Rücktritt im Parlament einbringen will.
Entgegen den Absichten seiner Mütter, ist seit dem Gesetz von 1975 die Zahl der Abtreibungen nicht gesunken. Jählich unterbrechen rund 220.000 Frauen eine Schwangerschaft. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der minderjährigen Schwangeren auf jährlich rund 10.000 an. Über 6.000 jugendliche Frauen unterbrechen die Schwangerschaft. Bei vielen, die das Kind zur Welt bringen, verhindert familiärer Druck den Abbruch.
Diesen jungen Frauen will Aubry mit der Abschaffung der elterlichen Zustimmung zum Abbruch entgegenkommen. Stattdessen soll eine von der Minderjährigen und dem Familienplanungszentrum ausgewählte Person die Mädchen vor und nach der Abtreibung begleiten.
Als Vorbeugemaßnahme gegen ungewollte Schwangerschaften von Minderjährigen hatte die Regierung im Januar Schulkrankenschwestern gestattet, die „Pille danach“ zu verabreichen. Dagegen haben verschiedene Organisationen der „Lebensschützer“ erfolgreich vor dem Staatsrat geklagt. Ihr stümperhaftes Vorgehen will die Regierung bis Herbst mit einem Gesetz ausbessern, gegen das keine Verfassungsklage mehr möglich sein soll. DOROTHEA HAHN
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