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Kurvendiskussion statt Kraft-Probe

■ Cottbus-Sponsor „kauft“ Ostkurve des Weserstadions / Fans wollen Saisonauftakt boykottieren, weil sie nicht gefragt wurden / Trägt ein salomonischer Kompromiss?

„Kraftkurve“ – das Wort beschreibt nicht etwa die konditionelle Entwicklung des Werder-Teams, sondern den Aufenthaltsort seiner treuesten Fans. So sieht es zumindest der Lebensmittelkonzern Kraft Foods, der neuerdings außen an der Ostkurve des Weserstadions wirbt. „Das ist bundesweit das erste Mal, dass die Kurve eines Stadions gebrandet wird“, freut sich Rolf Sauerbier, Sprecher von Werders drittgrößtem Sponsor.

Für viele Fans ist das Logo des Multis allerdings eher Brandmarke als Markenzeichen: Sie hatten Anfang der Neunzigerjahre gegen die Pläne des DFB durchgesetzt, dass in „ihrer“ Kurve Stehplätze erhalten bleiben. Seitdem ist die Identifikation mit dem Lieblings-Standort groß. In Flugblättern kritisierten verschiedene Fan-Initiativen, dass sie vor der Umbenennung nicht gefragt wurden. Sie rufen zu einer Protestdemonstration vom Hauptbahnhof (heute um 12 Uhr) zum Weserstadion auf. Dort wollen sie den Beginn des ersten Saisonspiels gegen Energie Cottbus (15.30 Uhr) draußen vor den Toren abwarten. Die „Gruppo Antikommerz“ will der Fan-Kurve sogar so lange fernbleiben, bis sie wieder offiziell Ostkurve heißt.

Bei Werder rudert man derweil vorsichtig zurück: „Wir haben kein Problem damit, wenn die Fan-Kurve in Zukunft Kraft-Ostkurve genannt wird“, versuchte sich Marketingchef Manfred Müller in einem Kompromiss, der prompt vom Bremer Fanprojekt begrüßt wurde. Dennoch bietet das Projekt am „Tag des Fans“ (20. 8.) eine nachträgliche Diskussion mit Vereinsvertretern im Ostkurvensaal an. Der soll auch in Zukunft so heißen: Werder-Pressesprecherin Marita Hanke versprach, das Fan-Domizil werde nicht in „Kraftraum“ umbenannt. Auch auf den Eintrittskarten soll unter dem Firmenlogo weiterhin „Ostkurve“ stehen – „man muss sich ja auch zurecht finden“, so Hanke.

Kraft-Sprecher Sauerbier ist sich darüber klar, dass „natürlich jeder sagt, was er will.“ Beim heutigen Auftaktspiel zur neuen Saison schlagen zwei Herzen in der Konzernbrust: Seit einigen Jahren ist das Unternehmen über eine Kaffeemarke als Trikotsponsor bei den Gästen aus Cottbus engagiert. Wer konnte auch ahnen, dass die Kicker aus der Lausitz jemals in die erste Bundesliga aufsteigen und somit auf den SV Werder treffen würden?

Heute ist es so weit. Und bei Kraft fühlt man „fast freundschaftliche Beziehungen“ zu beiden Vereinen. „Jedes Tor, das rein geht, tut weh“, sagt Sauerbier „egal auf welcher Seite“. Er wünscht sich deshalb ein 0:0 – und zieht sich damit eventuell den Zorn beider Fangruppen zu.

Aus Cottbus werden 2.000 Gäste erwartet. Jene unter ihnen, die für ihren rechtsradikalen Hintergrund bekannt sind, müssen sich in Bremen vorsehen: Die Stadion-Ordnung verbietet rassistische und rechtsradikale Parolen und Transparente. In der Vergangenheit wurden wegen ähnlicher Äußerungen bereits Stadionverbote verhängt. „Auch wer den Arm hebt, muss damit rechnen, dass es geahndet wird“, sagt Marita Hanke. Die Polizei ist in erhöhter Alarmbereitschaft.

Fußball wird heute auch noch gespielt, wenn auch nicht von den besten 22 Akteuren. Das 11-Nationen Team aus Cottbus muss auf die verletzten Akrapovic, Vilmos Sebök und Rudi Vata verzichten. Als Libero wird der erst 20-jährige Kanadier Kevin McKenna auflaufen. Bei Werder sind Ailton, Dieter Frey und Neuzugang Ivica Banovi'c nicht einsatzbereit. Trainer Thomas Schaaf ahnt, dass es ein „schweres Auftaktspiel“ wird: „Cottbus hat im Grunde nichts zu verlieren.“

jank/Foto: Laura Marina

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