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berliner szenenAuf dem Narva-Gelände

Irreal rocken

Die „neuen Orte der Stadt“ wollen uns die Berliner Festspiele präsentieren. Demnächst gibt's Theater im Neuen Kranzler Eck und im Park des neuen Kanzleramts. Am Wochenende lockte man das Publikum zunächst in die Neue Peripherie. Dort wo von 1906 bis 92 bei Narva „im Licht gearbeitet“ wurde, präsentierten die Berliner Neue Musikmacher „Zeitkratzer“ merkwürdige Songs von Lou Reed. Songs, die nicht als Popsongs konzipiert wurden und die er auch lieber nur für sich selbst auf CD brannte.

Der Uraufführungsort war ein Industriehof in der neuen Oberbaumcity. Hier residieren Firmen mit so viel sagenden Namen wie Algonet, acotec oder T-Venture, von denen man nie erfahren wird, was sie genau herstellen. Aber gemütlich haben sie es sich eingerichtet im Licht. Der Hof wird überspannt von einem Zeltdach mit einer Glaskonstruktion in der Mitte. Sogar Anschlüsse an die Regenrinnen besitzt die Plane. Helle Klinkersteine drehen fröhliche Zöpfe. Der Boden ist mit Platten ausgelegt, unter denen künstliches Licht hervorquillt, bei Ende des Konzerts.

Es ist einer dieser Orte, die einen nicht radikal einschüchtern, aber doch nur zögerlich Zigarettenasche zu Boden fallen lassen. Es gibt sogar ein hell designtes Delikatessengeschäft mit Bistro für hungrige T-Venturer. Kein schlechter Ort für Neue Musik, aber auch kein optimaler. Wenn ein Konzert die Summe seiner Begleiterscheinungen und Nebengeräusche ist, dann spielte hier eine Klimaanlage zur Computerkühlung alle Viertelstunde die erste Geige. Wann sind Computer endlich so intelligent, einfach mal das Fenster aufzumachen, wenn ihnen nach frischer Luft ist?

Ebenso ablenkend die Visuals von Maria Vedder. Ihre links und rechts der Bühne stattfindenden Kommentare („eine geheime Sprache der Zeichen“) zum „Metal Talk“ der Zeitkratzer wollten nicht so recht Ruhe geben und hätten gleichzeitig mehr Aufmerksamkeit verdient. Fallende Stühle, Steine, Pakete, eine Frau mit Signalflaggen oder Männer, die sich den Mund zuhalten, sprechen Vedders „Silent Language“.

An diesem komplett durchinszenierten Ort hatte ich sogar den Verdacht, den U-Bahn-Zug im Fenster über der Bühne nicht real zu sehen. AB

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