: Aktive Gotteskrieger
Am Flughafen Tempelhof veranstaltet die „International Church of Christ“ seit gestern ihren Osteuropakongress
Die Kontaktaufnahme erfolgt scheinbar zufällig: Sitzt jemand in der U-Bahn und guckt gedankenverloren oder traurig aus dem Fenster, schlagen sie zu. „Bist du auch so traurig?“, lautet die erste Frage.
Hat der Angesprochene, meist handelt es sich um Studenten, keine Lust auf ein Gespräch, erfolgt sogleich der Rückzug – nicht ohne jedoch nach der Telefonnummer gefragt zu haben. Über das Telefon wird dann versucht, eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Was nett anfängt, endet in einer Glaubensgemeinschaft, die den „spirituellen Holocaust“ propagiert und die Weltevangelisation in einer Generation erreichen will.
Die Rede ist von der „International Church of Christ“ (ICC), einer christlichen Sekte, die Ende der 70er-Jahre in Boston gegründet wurde und auch in Berlin eine Gemeinde hat. Gestern Abend begann nach Informationen der Arbeitsgemeinschaft (AG) Sekten der Freien Universität im Congress- und Eventcenter auf dem Flughafen Tempelhof deren zweitägiger Osteuropakongress. Die Arbeitsgemeinschaft (AG) Sekten der Freien Universität warnt vor einem „Aufmarsch der Gotteskrieger“, zu dem etwa 2.000 „fanatische Jünger“ erwartet werden.
Nach Angaben der AG Sekten müssen die Mitglieder „bereit sein, für ihren Glauben zu sterben“ und den „Befehlen ihrer Führer gehorchen, selbst wenn sie erkennen, dass diese falsch sind“. Die ICC bringe ihre Anhänger in eine „hochgradige psychische Abhängigkeit“. Auf den Kongressen werden, so Markus Wende von der AG, „Brandreden geschwungen und die Leute werden aufgeputscht“.
Eine Hauptzielgruppe der ICC sind Studenten, die meistens in öffentlichen Verkehrsmitteln angeworben werden. An der Freien Universität hat die ICC „wegen ihrer rigiden Methoden“ Hausverbot. Die Zahl der Anhänger in Berlin schätzt die AG auf etwa 700. Jeden Sonntag treffen sie sich zu Gottesdiensten in der Neuen Nazarethkirche am Leopoldplatz im Wedding.
Der Sektenbeauftragte des Senats, Thomas Gandow, spricht von einer „straff geschlossenen Glaubensgemeinschaft“, die ihre Mitglieder unter einen „hohen Leistungsdruck“ stelle. „Sie sind fanatisch und rigoros“, so Gandow.
Statt einer Integration in eine Gruppe erfolge das Einbinden in eine Zweierbeziehung. Jedes Mitglied bekomme einen „Dicipler“, einen „geistigen Führer“, zur Seite, der beispielsweise bestimme, mit wem sich sein „Jüngerschaftspartner“ treffen darf. Im aktuellen Handbuch der Religionsgemeinschaft warnt der Sektenbeauftragte vor dem „spirituellen Holocaust“ und dem „Blitzkrieg“, den die Gemeinschaft anstrebe.
In Berlin hat sich 1996 eine Aussteigergruppe gegründet, der etwa 20 Mitglieder angehören. Diese wollen am Flughafen Tempelhof mit Aktionen auf die Gefahren der Sekte aufmerksam machen. „Die sollen sich nicht einbilden, einen geheimen Kongess durchführen zu können“, so eine Frau aus der Gruppe, deren Tochter der ICC angehört.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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