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die jazzkolumneLive und im Internet: die Jam-Bewegung

Tapes und Authentizität

Es war eine Entscheidung der Fans. Als diesen Sommer die Kandidaten für die ersten „Jammys“ nominiert wurden, gab es im Internet lange Diskussionen, bis überhaupt die Kategorien der Preisvergabe geklärt wurden. Grund dafür war die Erfahrung, dass die herkömmlichen Kriterien und Modalitäten etwa der Grammyverleihung nicht taugen, um das, was Jam ausmacht, zu bewerten.

Denn Jam ist keine einheitliche musikalische Bewegung, weder Marketing-Clou noch eigenständiges Genre: Jam ist ein soziales Phänomen made in USA, eine alternative Gemeinschaft auf der Suche nach Tapes und Authentizität. Jam ist der Glaube an das Kreativitätspotenzial der Amateure: Geh auf die Bühne und tu es. Jam-Bands sind Musikerkollektive, die vor allem laut und lang improvisieren, und Jam-Fans sind reiselustig und partygeil wie andere amerikanische College-Kids auch. Musikalisch gesehen ist Jam eine völlig obskure Mischung aus Rock, Funk, Bluegrass und HipHop, die eben nicht additiv vermanscht wird, sondern nebeneinander besteht, ja, fast könnte man sagen, bewahrt wird. Jam beinhaltet die Autonomie der Stile und die Dominanz der Fans. Dass die Musiker ihren Fans ausdrücklich erlauben, ihre Konzerte mitzuschneiden und via Internet weiterzuverbreiten, gehört zu den Besonderheiten von Jam. Der üblichen Copykill-Ressentiments entledigten sich die Jam-Bands schnell, als sie merkten, dass bei den Jam-Fans nicht Handel, sondern Hobby im Vordergrund steht. Diese kommunizieren anhand so genannter Live-Bootlegs – selbst gemachten Mitschnitten von Jam-Konzerten – wer warum angesagt ist und zu welchen Konzerten es sich zu reisen lohnt. Im Online-Reisebüro von www.jambands.com können Unterkünfte während der Konzerte und Festivals gebucht werden, aktuell für das Planet-Salmon-Fest mit der Band Leftover Salmon and Friends, das am 9. und 10. September in Lyons, Colorado, stattfindet.

In Deutschland hat die Bewegung bisher noch kein Echo gefunden, nicht bei den Plattenfirmen und nicht in den Läden. Am besten klinkt man sich daher über das Internet in die Jam-Welt ein. Das Online-Radio www.jambands.com bietet einen bemerkenswerten Hörquerschnitt durch diesen Kosmos. Via Internet diskutieren die Fans in den USA, welche Jam-Band gerade hip ist, und dabei zählen herkömmliche Kriterien für die Bewertung improvisierter Musik, wie etwa das vom Jazz her bekannte Hochhalten handwerklicher Kompetenz, wenig bis gar nicht. Angesichts der Vielzahl von Stilen, Genres und Events wird weder Überblick noch Vollständigkeit beansprucht. Als Nachrichten werden bei www.jambands.com dieser Tage so insiderische Details verhandelt wie etwa, dass der Living-Colour-Gitarrist Vernon Reid beim Berkshire Mountain Music Festival in Great Barrington Bob-Marley-Titel gespielt haben soll oder dass Medeski, Martin & Wood beim Waterloo Summer Festival in Stanhope „Hey Joe“ anstimmten.

Der historische Bezug ist für die Jam-Musiker wichtig. Als die Jammy-Kategorien von den Fans definiert wurden, votierten diese auch für eine Jammy-„Hall Of Fame“, für die The Greatful Dead, Jimi Hendrix und Miles Davis nominiert wurden. Die Old School des Jam waren jene Bands der Endsechziger- und frühen Siebzigerjahre, die ein Live-Stück über zwei LP-Seiten streckten und die Inkompatibilität ihrer Musik erfanden. Bands wie Allman Brothers und Greatful Dead glaubten, so ihre Musik und ihre Fans vor dem Zugriff der Popmusikindustrie schützen zu können. Wenn es einer Band gelang, das kommerzielle Radioformat zu sprengen und dennoch im Gespräch zu bleiben, dann deshalb, weil sie um ihre Live-Konzerte ein ideologisches Eventnetz spannten, das ihren Fans vor allem Exklusivität garantierte. An dieser Idee knüpft die heutige Jam-Bewegung, die nach der Schneeball- und Graswurzelmethode funktioniert, wieder an.

Jam-Bands wie Karl Densons Tiny Universe verkaufen ihre CDs und die Tickets für ihre Konzerte mittlerweile ausschließlich online. Denson kommt aus dem Jazz, und Tiny Universe ist – neben der Band The Cosmic Crew des einstigen Sun-Ra-Trompeters Michael Ray – eine der wenigen schwarzen Jam-Bands. Ihre Konzerte sind meist Wochen zuvor ausverkauft – nicht zuletzt deshalb, weil sie auch häufig in Läden spielen, in die kaum mehr als dreihundert Leute reinpassen. Diese Gruppe macht puren Party-Jazz-Funk und zieht damit ein vornehmlich weißes Publikum aus tanzwütigen CollegeKids an.

Zu den wenigen Jazzern, die sich unter den führenden Jam-Bands finden lassen, zählen auch Medeski, Martin & Wood. Das Orgel-Groove-Trio entstammt der New Yorker Knitting-Factory-Szene und hat es geschafft, ein junges Publikum zu erreichen, das mit Jazz sonst kaum in Berührung kommt. Jam hat viel von dem, was dem Jazz heute fehlt: den unverkrampften Umgang mit der Tradition und die Stärke der Community. Vor dem Boom waren MM & W – wie viele andere Jam-Bands auch – jahrelang mit einem Campingbus quer durch die USA gereist, um sich in den Collegestädten ein weitverzweigtes Live-Publikum zu erspielen. Im Sommer 1996 wurden sie schlagartig berühmt, als die Jam-Band Phish in einer Konzertpause eine Platte von MM & W laufen ließ.

Das vor über fünfzehn Jahren gegründete Quartett Phish kommt, wie die meisten der Jam-Kollegen, vom Independent-Rock. Fast 80.000 Fans reisten zu ihrem Silvesterkonzert nach Florida, um Phish stundenlang jammen zu hören, und dafür erhielten sie nun kürzlich den ersten „Live Set Of The Year“-Jammy. Der „Jam Of The Year“ ging an eine Band namens The Disco Biscuits, der „Home Grown Music“-Preis an Strangefolk und der „Community Service Award“ an Strangers Helping Strangers, einem aus Fanstrukturen gewachsenem Communitynetzwerk. Der Jammy für die Platte des Jahres, „So Many Roads“, ging an eine amerikanische Institution: The Greatful Dead. Keine andere Band verkörpert die Ethik des Jam so wie sie, denn Jam schöpft aus dem Jazz-Spirit der 60er- und dem Authentizitäts-Rock der frühen 70er-Jahre. Greatful Dead dankte den Fans mit Verweis auf den Jazzmusiker John Coltrane, der sie vor 35 Jahren gelehrt habe, modal zu improvisieren. Die in seiner Musik entwickelte Freiheit sei dem Spirit der Jam-Band-Community heute sehr verwandt, erklärten sie. CHRISTIAN BROECKING

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