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Der Irrtum des Mentors

Der vor 13 Jahren entmachtete Präsident Serbiens, Ivan Stambolić, ist spurlos verschwunden

Am Wochenende wurde Ivan Stambolić (64) mitten in Belgrad entführt. Der ehemalige Vorsitzende des Bundes der Kommunisten Serbiens und Präsident dieser exjugoslawischen Republik ruhte sich gerade vom Joggen auf einer Bank aus, als ein weißer Lastwagen vor ihm stoppte. Kurz darauf war er verschwunden, wie der einzige Zeuge, ein Parkplatzwächter, berichtete. Seine Frau Katja meldete ihn um 16.30 Uhr bei der örtlichen Polizei als vermisst. Der Tatort wurde untersucht, und 150 in Belgrad gemeldete weiße Lkws wurden überprüft – ohne Ergebnis.

Ivan Stambolić gehört zu einer Familie, die in Serbien seit 1945 einige Bedeutung hat. Schon sein Onkel Petar Stambolić gehörte über Jahrzehnte zu den einflussreichsten Politikern und Ökonomen im Lande. Ivan selbst begann seine Karriere in den frühen Siebzigern als kommunistischer Musterfunktionär: Er wurde Manager bei Tehnogas, einer prosperierenden Firma aus dem Energiesektor, die zudem als Kaderschmiede für den viel versprechenden Parteinachwuchs galt. Hier lernte Stambolić einen anderen Nachwuchskommunisten kennen: Slobodan Milošević. Die beiden wurden Verbündete und enge Freunde.

Ivan und Katja Stambolić sowie Slobodan und dessen Frau Mira Marković galten lange als unzertrennlich. Gegen den Rat politischer Freunde und Verbündeter verhalf der Vorsitzende Stambolić dem fünf Jahre jüngeren Genossen Milošević 1983 zum Posten des ersten Sekretärs der Partei in Belgrad. Später machte er „Slobo“ zum Vorsitzenden des Zentralkomitees „und verhalf Milošević zur Kontrolle über die Schlüsselposition in Serbien. Milošević wusste sie zu nutzen: Im September 1987 organisierte er den Sturz seines Mentors.

„Slobo“ entschädigte Stambolić für die folgende totale politische Bedeutungslosigkeit mit einem Job bei der jugoslawischen Außenhandelsbank. Nach nicht allzu langer Zeit wurde er vorzeitig Pension in geschickt. Obwohl er sich nie wieder aktiv in die Politik mischte, entwickelte sich der Frührentner in den letzten Jahren zu einem scharfen und viel zitierten Kritiker Milošević’. In einem der letzten Interviews vor seinem Verschwinden sagte er Radio France: „Milošević kämpft seinen letzten Kampf, und er wird keine Gnade haben.“

Unabhängig vom Ergebnis der Untersuchung ist die politische Botschaft der Entführung des Exparteichefs denkbar deutlich: Wenn so etwas jetzt, einen Monat vor den Wahlen, einem Stambolić passieren kann, dann kann es jeden treffen. Ein grandioser Start für den Wahlkampf.

MILOS VASIĆ

(Übersetzung Rüdiger Rossig)

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