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Das doppelte Robbchen

Der Entertainer als Handwerker oder Die Kunst der Ballannahme: Den Aufstieg zum schillerndsten Popstar Britanniens verdankt Robbie Williams seinem Wissen um das wahre Herz der Unterhaltung

von ARNO FRANK

Es war nicht sein bestes Konzert, an diesem verregneten Nachmittag 1999 in Roskilde. Sichtlich gelangweilt spielte Robbie Williams in einem stickigen Zelt seine Hits herunter. Vor seinem hassgeliebten Publikum aus vorwiegend jungen Mädchen watschelte er von Bühnenrand zu Bühnenrand, um es nur hin und wieder mit einem routinierten Griff in den Schritt seiner Trainingshose zu erfreuen: „Rrrrobbie!“ kreischte es aus entzückten Kehlen. Doch da passierte es. Da flog plötzlich, mitten in der Ballade „Angel“, mitten aus einem Meer an Feuerzeugen, ein schmutzstarrender Fußball in Richtung Bühne. Williams stoppte den Ball mit der Brust, hielt ihn mit dem Knie eine Weile in der Luft, legte ihn sich mit der Ferse vor – und feuerte ihn schließlich unters Zeltdach.

That’s entertainment. Fußball bereitet Robbie Williams offenbar große Freude, jedenfalls ist das komplette Beiheft seines aktuellen Albums „Sing When You’re Winning“ (EMI) als Fotostrecke rund ums Thema Fußball gestaltet – dem Sport also, bei dem der so genannte Lad, ein zu Sixpacks pubertierendes Männchen und momentan Maß popkultureller Coolness, ganz bei sich selbst sein darf. Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Sanitäter, Polizisten – alle sind sie Robbie Williams, multiple Persönlichkeit und gegenwärtig Britanniens schillerndster Popstar.

Als solcher muss er natürlich in erster Linie im Gespräch bleiben. Daher reißt er sich im Video zur Single „Rock DJ“ vor gelangweilten Models das Fleisch von den Knochen – so drastisch, dass der Clip überall nur gekürzt ausgestrahlt wird. Und aus demselben Grund legt er sich auch mit seinem früheren Idol Liam Gallagher an – dem Proto-Proll der Band Oasis, der als „echter Rockstar“ gilt und Williams einen „fetten Tänzer“ genannt hatte. Robbie trifft Liam, wo es dem Schwulenfeind wehtut: Er würde Liam gerne „ficken, und zwar so, dass es ihm gefällt“. Die Schärfe der Wortwahl entspricht der Härte des Kampfes: Pop ist ein Luftschloss und Publicity der Schlüssel. Oasis hatten sich schwitzend, dreckig, besoffen und rüpelhaft aufgeführt, weil sie’s ernst meinten. Robbie Williams meint’s ebenso ernst, hat aber noch ein paar andere Pfeile im Köcher. Und sein neues Album ist darunter nicht der Stumpfeste.

Als Oasis mit dem bräsigen „Standing On The Shoulder Of Giants“ auf der Nase landeten, kondolierte Williams so süffisant wie treffend, der Band seien wohl die Ideen anderer Leute ausgegangen. Was sich von Williams beim schlechtesten Willen nicht behaupten lässt: „Sing When You’re Winning“ ist ein unverschämtes, unterhaltsames Amalgam aus dreißig Jahren Popgeschichte. Und, wie sein Debüt „Life Thru A Lens“ oder das 98er Album „I’ve Been Expecting You“, kongenial zusammenkomponiert von Williams’ Songschreiber Guy Chambers. Hier haben wir die Beatles, Gloria Gaynor, David Bowie oder Roy Orbison – all rolled into one. So erfolglos Guy Chambers in den Achtzigern mit seiner eigenen Band war, so viel Platin wird er mit den Hits scheffeln, vor denen man sich auf „Sing When You’re Winning“ kaum retten kann. Im Booklet würdigt Williams den Mann im Hintergrund: „Guy Chambers ist ebenso sehr Robbie, wie ich es bin.“

Zu Zeiten von Take That war das noch anders. Fünf der sieben Nummer-1-Hits der Boygroup flossen damals aus der Feder des Kollegen Gary Barlow, dem nach dem Ende der Band eine eltonjohnesque Karriere prophezeit wurde. Doch während Barlow inzwischen ohne Plattenvertrag dasteht, ziert Williams das Cover des Rolling Stone. Was Williams von den Barlows oder Gallaghers unterscheidet, ist, so abwegig es klingt: dass er einen Ball annehmen kann. Dass er nämlich eine Art der Unterhaltung repräsentiert, die im Las Vegas eines Frank Sinatra ihre Wurzeln hat und noch im angelsächsischen Verständnis des Stand-up-Comedian nachhallt: „Let me entertain you“, statt „Here we are now, entertain us“.

Hier erleben wir den Entertainer als Handwerker, dessen Schweiß fürs Publikum läuft. Genau das ist der Hammer, mit dem Williams sein Image als „fetter Tänzer“ oder schnuckeliges Sexsymbol zertrümmert. Und eben weil er sein Handwerk beherrscht, setzt er aus den Splittern wieder ein neues Mosaik zusammen: „Ain’t no chance of the record company dropping me / Press be asking do I care for sodomy / I don’t know, yeah, probably“, singt er in „Kids“, einem netten Duett mit Kylie Minogue. Wer will, der kann „Sing When You’re Winning“ auch als Spaziergang durch den Supermarkt der Popgeschichte interpretieren, bei dem Williams einkauft und klaut, was ihm gefällt, um zuzubereiten, was ihm schmeckt. Dass er diese postmoderne Plünderung nicht mit künstlerischen Ambitionen verbrämt, ziert ihn wie keinen Zweiten. Die Beatles hasst er, weil sie so perfekt waren, „dass sie für niemanden etwas übrig gelassen haben“. Tom Jones und das „Rat Pack“ um Dean Martin liebt er, weil „die wissen, wie man einen Drink hält“. Und wie man es schafft, das Publikum nie, niemals zu langweilen.

Als gelehrsamer Schüler seines Duettpartners Tom Jones hat Williams natürlich auch auf „Sing When You’re Winning“ eine sehr britische Überraschung parat. Denn wenn diese Wundertüte von Album längst verklungen ist, nach halbstündiger digitaler Stille, wo andere einen Bonustrack verstecken würden, dort jedenfalls, ganz am Schluss, entbietet Robbie Williams Freund wie Feind einen trockenen Furz. That’s entertainment, too.

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