die stimme der kritik
: Betr.: Verwaltung von Jerusalem

Eine diplomatische Geheimwaffe namens Gott

Dass sich der Dritte freut, wenn zwei sich streiten, ist an sich bekannt, verdient aber gelegentlich, in Erinnerung gerufen zu werden. Hat doch die alte Erkenntnis ein ungeahntes Potenzial als diplomatische Geheimwaffe. Nehmen wir zum Beispiel Jerusalem. Israel hat es zu seiner ewigen Hauptstadt erklärt, und die Palästinenser wollen unbedingt die Souveränität über den Felsendom als drittwichtigstes Heiligtum der Muslime. Unlösbar? Pah! Liegt doch die Lösung zum Greifen nahe, und da sind sich – gerade in Jerusalem – auf einmal fast alle einig: Gott!

Genau, wir geben einfach Gott die Souveränität über Jerusalem. So brauchen weder Israelis noch Palästinenser befürchten, die anderen nähmen ihnen etwas weg, und der jeweils eigene Souveränitätsverzicht erscheint plötzlich verwindbar. Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert, der Nachgiebigkeit in religiösen Dingen absolut unverdächtig, hat bereits Interesse signalisiert – ebenso der palästinensische Kabinettsminister Siad Abu Sajjad. Dass Ehud Barak zurückhaltend reagierte, passt ins Bild, hat er sich doch gerade erst mit seinem Vorschlag einer säkularen Verfassung als komplett areligiös geoutet.

Man stelle sich vor: Statt israelischer Soldaten patroullieren die himmlischen Heerscharen in den Straßen, als Verwaltungschef wird Petrus eingesetzt, und anstelle von Ausweisen genügt an den Grenzen ein Glaubensbekenntnis der bevorzugten Religion. Unrealistisch? Nun gut, wie wäre es also mit einem Stellvertreter Gottes auf Erden als Verwalter. Dem Papst etwa, dem israelischen Oberrabbiner Meir Lau, oder dem Mufti von Jerusalem, Ikrema Sabri – oder am besten gleich allen zusammen.

Ein Modell für religiöse Kooperation gibt es in Jerusalem bereits: Die Grabeskirche wird nach einem 1852 mühsam ausgehandelten Kompromiss von sechs christlichen Konfessionen gemeinsam verwaltet. Die Zusammenarbeit ist so vertrauensvoll, dass seit Jahrzehnten keine Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen wurden, um den Status quo nur ja nicht zu gefährden. Den Schlüssel hat übrigens sicherheitshalber ein Moslem.

Dieses Modell verdient es, auf die ganze Stadt ausgedehnt zu werden. Dann können neben Katholiken, Griechisch-

Orthodoxen, Armeniern, Kopten, Syrern und Äthiopiern auch noch orthodoxe und liberale Juden, Sunniten und Schiiten mitverhandeln. Bleibt eigentlich nur noch zu klären, wer dann den Schlüssel bekommt.

           CHRISTOPH DREYER