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Des Landes kälteste Hotline

Nach dem 2:1 des HSV gegen Bremen und endgültiger Vernichtung der volksparkeigenen Schlammwiesen darf Juve am Mittwoch in der Champions League auf neuem Rasen auflaufen

aus Hamburg von CHRISTOPH RUF

Schon der äußere Rahmen hielt, was das Wort Nordderby versprach: Penetranter Dauerregen hatte das sowieso schon ramponierte Geläuf im Volksparkstadion in eine bizarre Wasserlandschaft verwandelt. Pünktlich zum Anpfiff intensivierte sich Petrus’ Zorn noch, so dass in Kombination mit 44 pflichtbewussten Stollenschuhen sogleich eine Arbeitsgrundlage entstand, auf der Flachpässe wie in Zeitlupe dahinrollten.

Die Akteure ließen sich jedoch von den widrigen Umständen nicht daran hindern, ein hochklassiges Fußballspiel aufzuziehen. An dessen Ende hatte die etwas bessere zweier guter Mannschaften den ersten dreifachen Punktgewinn der Saison eingefahren. Dabei hatten die in rot spielenden Grün-Weißen die erste gute Chance, als der Kanadier Paul Stalteri an die Latte köpfte. Elf Minuten später gab es dann eine exakt spiegelverkehrte Konstellation zu bestaunen: Die von Marcel Ketelaer punktgenau geschlagene Flanke nutzte Sergej Barbarez zum 1:0. Im munteren Kräftemessen danach erarbeiteten sich beide ihre dreckigen Trikots durchaus redlich. Beim HSV rannten Ketelaer und Präger die Flügel rauf und runter, um das erneut beängstigend dezente Auftreten des Antony Yeboah zu kompensieren. Die Defensivkräfte hingegen machten so manche Originalität im Stellungsspiel durch die Bereitschaft zum Wassersport wett.

Den Bremern war es immer wieder gelungen, die lediglich formale Anwesenheit von Andreas Herzog durch kluges Direktpassspiel zu kompensieren. Marco Bode sorgte kurz nach Wiederanpfiff mit seinem 1:1 für Glückgefühle unter der mit etwa 2.000 Fans nur in Expo-Dimensionen angereisten Bremer Klientel.

Wären in der Folgezeit nicht einige Chancen unkonzentriert vertan worden, Werder-Trainer Thomas Schaaf hätte bei der Pressekonferenz einen glücklicheren Eindruck machen können. Da aber stattdessen der neue Völler-Mann Ingo Hertzsch per 20-Meter-Schuss sein erstes Bundesligator erzielte (82.), blieb dem Bremer Coach angesichts von lediglich zwei in diesem Jahrtausend erzielten Auswärtspunkten nur die Flucht in Sarkasmus: „Unsere Serie hat gehalten.“ Der Grund: Konzentrationsdefizite in der Schlussphase. „In den letzten zehn Minuten haben wir mal wieder nicht aufgepasst.“ Stattdessen wurden die tief erdbraunen weißen Trikots der Heimmannschaft zur Grundlage für ein mit viel Fantasie auszumachendes Lächeln auf Trainer Frank Pagelsdorfs Gesicht. Nicht viel – genau ein Tor weniger – hätte allerdings gefehlt, und der Hamburger Boulevard hätte die bereits im Köcher steckenden Giftpfeile herausgezogen, um in der Woche vor dem Champions-League-Heimspiel gegen Juventus Turin den „Fehlstart“ in der Bundesliga wohlfeil zu beschrei(b)en.

Die in Hamburg herrschende Begeisterung – am Montag wurden die 42.000 Tickets innerhalb von drei Stunden verkauft – könnte jedoch binnen kurzem in Frust ob der enttäuschten hochgesteckten Erwartungen umschlagen. Bereits eine Woche vor dem Spiel der Spiele sind die Leserbrief- und Internetseiten voll mit Beschwerden über die Ticketvergabe des Clubs, der einen topmodernen Kartenservice per Telefon betreibt.

Glaubt man den vielen Klagen notleidender Fortschrittsfetischisten, wurde man dort in der Warteschleife von Deutschlands kältester Hotline zwar schnell zweistellige Beträge los, in den Genuss einer menschlichen Stimme kam jedoch nur, wer sich ganz konventionell bis zu acht Stunden an einer der Vorverkaufstellen anstellte. Auch wenn es wohl wieder regnen wird – für nahezu optimale äußere Bedingungen wird alleine der bis dahin komplett neu verlegte Rasen sorgen. Dafür, dass der alte nun endgültig nicht mehr zu gebrauchen ist, hat das Werder-Spiel so ganz nebenbei auch noch gesorgt.

Hamburg: Butt – Hoogma, Hertzsch, Fukal – Groth (88. Fischer), Kovac, Hollerbach, Barbarez – Präger (68. Mahdavikia), Yeboah (68. Bester), KetelaerBremen: Rost – Frings, Verlaat, Baumann, Skripnik – Eilts (85. Ailton), Wicky – Herzog, Bode – Stalteri (66. Pizarro), BogdanovicZuschauer: 37.382; Tore: 1:0 Barbarez (26.), 1:1 Bode (48.), 2:1 Hertzsch (82.)

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