: Ein Zertifikat als Zivi-Bonbon
Das Jugendministerium schlägt Alternativen zum verkürzten Zivildienst vor. Neben dem zehnmonatigen „Zivi“ soll es ein freiwilliges Jahr mit Berufsqualifizierung geben. Zu unattraktiv, befinden die Kritiker: Reguläre Arbeitsplätze müssten her
von RALF GEISSLER
Was tun, wenn mit der Verkürzung des Zivildienstes von elf auf zehn Monate Arbeitskräfte fehlen? Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesjugendministeriums hat gestern die Einrichtung eines Freiwilligendienstes als Alternative zum Zivildienst vorgeschlagen.
Statt zehn Monate Zivildienst zu leisten, sollen die jungen Männer dann zwölf Monate im sozialen oder ökologischen Bereich arbeiten. „Die längere Dauer könnte akzeptiert werden, da der Freiwilligendienst mehr Freiheit in der Lebensgestaltung lässt und berufsqualifizierende Maßnahmen anbietet“, sagte Bernhard Schmidtobreick, Mitglied der Arbeitsgruppe und Caritas-Vorstand. Die Freiwilligen sollen für ihre Arbeit Zertifikate erhalten, die bei der Berufsausbildung anerkannt werden.
Enttäuscht von den Vorschlägen zeigte sich der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Umsetzungspläne führten die Alternative ad absurdum, da der freiwillige Dienst schlechter bezahlt werden soll als der Zivildienst. „Junge Männer werden kaum bereit sein, zwölf Monate für ein Taschengeld von maximal 510 Mark monatlich zu arbeiten, während beim zehnmonatigen Zivildienst etwa 700 Mark plus Entlassungs- und Weihnachtsgeld gezahlt werden“, sagte Joachim Hagelskamp, Referent für den Zivildienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er fordert die gleiche Honorierung wie beim Zivildienst und eine Verdopplung der Bezüge in den zwei zusätzlichen Monaten.
Eine Gleichbehandlung aller Dienste wünschen sich die Grünen. „In ihrer jetzigen Konzeption ist die Alternative in der Tat wenig attraktiv“, urteilte Christian Simmert, Sprecher für den Zivildienst bei den Grünen. Langfristig setzt seine Partei auf eine Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes. Die frei werdenden Stellen sollen in Arbeitsplätze umgewandelt werden. „Man muss sehen, wie viel Geld der Staat durch den Wegfall des Zivildienstes einsparen kann. Das könnte für die Arbeitsbeschaffung bei der Schwerstbehindertenbetreuung eingesetzt werden“, schlägt Simmert vor.
Die Arbeitsgruppe des Bundesjugendministeriums geht im Gegensatz zu den Grünen aber mittelfristig von einem Erhalt der Wehrpflicht und damit auch von einem zehnmonatigen Zivildienst ab dem Jahr 2002 aus. Da die Dienstzeiten immer kürzer werden, hofft die Gruppe, dass freie Stellen durch den verlängerten freiwilligen Dienst kompensiert werden. Vor allem bei der Betreuung Schwerstbehinderter fehlen Zivis.
„Die Hoffnung wird nicht aufgehen“, urteilt Ina Lenke, Sprecherin für den Zivildienst bei der FDP. Sie kritisiert die Ergebnisse der Arbeitsgruppe als völlig unzureichend. Man habe eine preiswerte Alternative für die unbesetzten Betreuungsstellen gesucht und diese nun zu Lasten der jungen Männer gefunden. Ina Lenke gehört zu den FDP-Mitgliedern, die für eine Aussetzung der Wehrpflicht plädieren und ist Mitinitiatorin eines entsprechenden Antrags, der auf dem FDP-Sonderparteitag am kommenden Sonntag behandelt werden soll. Auch sie will Zivistellen durch Arbeitsplätze ersetzen.
Kritik am Konzept kam auch aus den Reihen der Arbeitsgruppe. Man sei in den Vorschlägen von falschen Vorausetzungen ausgegangen, behauptet Ulrich Finckh, Vorsitzender der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Der Ersatz von Ziviplätzen durch Arbeitsstellen werde in jedem Fall notwendig. „Bei der Bundeswehr werden momentan wesentlich weniger Männer am Ende wirklich einberufen als beim Zivildienst“, sagte Francke. Der Zivildienst müsse sich dem anpassen. „Sonst machen die jungen Männer nicht mehr lange mit.“
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