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Die großen Spiele der Politik

Olympiaden sind spätestens seit 1936 auch Projektionsflächen für politische Interessen. Sydney kann im besten Fall ein multikulturelles Fest werden

von JAN FEDDERSEN

Die olympische Medienmaschine läuft längst hochtourig. Vier Milliarden Menschen werden, heißt es, heute die Eröffnungsfeier der 27. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit im Fernsehen anschauen. Geboten wird ein hollywoodeskes Spektakel, eine Mischung aus Hymnen, Ansprachen, dem Einmarsch der 199 teilnehmenden Nationen – der traditionell mit Griechenland beginnt und mit dem gastgebenden Staat endet.

Mehr als 10.000 SportlerInnen werden sich am Ende auf dem Rasen des Stadions versammelt haben. Die Krönung, das Showtreppenelement sozusagen, wird die Entzündung der olympische Flamme im Stadion sein. Wer diesen Akt vollzieht, blieb bis zuletzt geheim.

Der Symbolwert dieser Initiation ist seit vier Jahren kaum noch zu überprüfen. Damals war es der legendäre Boxer Muhammad Ali, der, gezeichnet von den Folgen der Parkinsonschen Krankheit, das Feuer entzündete. Dass es gerade Ali war, dem diese Ehre angetragen wurde, hatte viel mit der Idee der Olympischen Spiele, also auch eine Menge mit Politik zu tun.

Völkischer Pomp und Boykott

Der Faustkämpfer, der unter seinem früheren Namen Cassius Clay 1960 in Rom eine olympische Goldmedaille gewann, litt wie kein zweiter prominenter Sportler in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg unter weißem Rassismus. Mitte der Sechzigerjahre, als Profiweltmeister aller Klassen ein Weltstar, erklärte er sich mit der Bürgerrechtsbewegung solidarisch – und wurde prompt mit einem mehrjährigen Kampfverbot durch die weißen Boxfunktionäre bestraft. Atlanta 1996 war auch eine Geste der Wiedergutmachung.

Olympische Spiele sind immer ein Ereignis, das für politische Symbolik genutzt wird, nicht nur die Spiele in Berlin 1936, die Nazideutschland zu einer Inszenierung von Modernität und völkischem Pomp zu stilisieren wusste. Leni Riefenstahls Filmästhetik, ihre Aufnahmen von asexuellen, kampfbereiten und trotzdem irgendwie entrückten SportlerInnen, zudem die kalte, schnörkellose und übermenschliche Architektur in der deutschen Hauptstadt trugen dem braunen Regime weltweit viel Reputation ein. Dass die USA damals den Trip nach Deutschland fast ausgesetzt hätten, hatte mit politischer Kritik am antisemitischen Deutschland zu tun. Dass die Athleten trotzdem fuhren, war dem Olympischen Komitee der USA geschuldet, das der deutschen Inszenierung gewogen war. Öffentlich hieß es, man wolle den Sportlern ermöglichen, eine Goldmedaille zu gewinnen.

Boykottversuche hat es immer wieder gegeben. 1980 nutzte US-Präsident Jimmy Carter den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan zum Boykott der ersten Sommerspiele in einem sozialistischen Land. Die BRD schloss sich dem Boykott auf Initiative von Bundeskanzler Schmidt pflichteifrig an. 1984 rächte sich Moskau und boykottierte die Spiele in Los Angeles.

Die ersten Sommerspiele außerhalb Europas und Nordamerikas, 1956 im australischen Melbourne, waren die ersten, die ohne nationenorientierte Schlussfeier auskamen. Einer Legende zufolge wollten die Veranstalter vermeiden, Ungarn zu düpieren. Viele ungarische Athleten hatten – nur Wochen nach dem Einmarsch von Militäreinheiten des Warschauer Pakts – in Australien um politisches Asyl nachgesucht. 1964 waren die letzten Sommerspiele vor der deutschen Wiedervereinigung mit einer gesamtdeutschen Mannschaft; 1968 trat die DDR erstmals mit eigener Equipe an – und wies ihren dritten Platz in der Medaillenwertung vor der BRD als Beleg für die Überlegenheit des Sozialismus aus.

1968 zerschossen mexikanische Militärs den Protest gegen unwürdige Lebensbedingungen. Als die US-200-Meter-Läufer Tommie Smith und John Carlos als Gold- und Bronzemedaillengewinner während der Siegerehrung die schwarz behandschuhte Faust, Symbol der Black Panthers hoben, um gegen den Rassismus in den USA zu protestieren, wurden sie vom NOK der USA umgehend nach Hause geschickt.

Swing und politischer Terror

Die Vergabe der Sommerspiele 1972 nach München sollte für die bundesdeutschen Veranstalter das Gegenbild zu den Nazispielen 1936 werden. Die Architektur luftig, die Musik swingend, die Atmosphäre „heiter“ (NOK-Chef Willi Daume) – ein Symbol eines neuen, demokratischen Deutschland. Kurz vor Ende der Wettkämpfe nahm ein palästinensisches Terrorkommando ein Dutzend israelische Sportler in Geiselhaft. 15 Tote wurden am Ende gezählt. Israel machte der Bundesrepublik schwere Vorwürfe, nicht genug für die Sicherheit der Sportler getan zu haben. Tatsächlich wurde kurz nach München im Bundeskabinett der Aufbau der Antiterrortruppe GSG 9 beschlossen. Es waren die letzten Sommerspiele ohne straffe Sicherheitsvorkehrungen.

Sydney hat 1993 den Vorzug vor Peking erhalten. Dort schien die Menschenrechtslage, vier Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, weniger gewährleistet als im demokratischen Australien. Sind die Spiele von Sydney trotzdem unpolitisch – jetzt, wo der Kalte Krieg keine Beteiligten mehr hat und wo kein Land der Party fern bleiben möchte? Wahrscheinlich werden es die Bilder aus der australischen Stadt sein, die politisch wahrgenommen werden können. In Sydney leben mehr als vier Millionen Menschen. Eine kommunalpolitische Liste, die schärfere Einwanderungsgesetze fordert, ist gerade vom Wahlvolk abgestraft worden – und im Magistrat von Sydney ohne Sitz. Menschen aus rund 200 Nationen leben in Sydney, mehr als 100 Sprachen sind im Alltag zu hören. Die Stadt ist so multikulturell wie kaum eine zweite auf der Welt. Sogar die Proteste der Aborigines gehören zum Fest: In Peking, so viel ist sicher, wären Kundgebungen von Tibetern nicht möglich gewesen.

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