: Arbeit macht auch Sesselfurzer krank
Ergonomische Bürostühle allein schützen vor Zipperlein nicht. Die richtige Haltung und ein gutes Arbeitsklima sind mindestens genauso wichtig
von MARTIN KALUZA
Schlimm genug, dass man überhaupt arbeiten muss. Tag für Tag quält man sich zur Unzeit aus dem Bett, und noch beim beschaulichsten Bürojob kann man sich die Gesundheit nachhaltig ruinieren. Allein der Bewegungsmangel und einseitige Körperhaltungen sind oft der Anfang vom Ende: Von Kopf-, Schul- ter- und Rückenschmerzen über Durchblutungsstörungen, Ohrengeräusche, Konzentrationsprobleme und Verspannungen, Ischias und Hämorriden bis hin zu geringer Hirndurchblutung kann man sich alle möglichen Zipperlein praktisch schon dadurch einhandeln, dass man über die Jahre monoton am Schreibtisch hockt. Kommen dann Stress oder ein stinkiger Chef dazu, erfährt das eine oder andere Leiden noch einmal einen psychosomatischen Boost.
Über typische Haltungsprobleme am Arbeitsplatz hat sich Karl-Heinz Krenn lange Gedanken gemacht. Anfangs hat er sich mit seinem Unternehmen „Der Firmensitz“ darauf konzentriert, ergonomisch gestaltete Stühle zu verkaufen. Mittlerweile verkauft er auch das Know-how, wie man richtig darauf sitzt. „Ich habe festgestellt, dass die Stühle nicht so sehr das Problem sind“, sagt der Geschäftsmann, „oft hängen die Leute auf ihrem ergonomischen Stuhl wie zu Hause im Wohnzimmersessel.“ Darüber ist Krenn zum Dienstleister geworden: Er bietet Betrieben ab zwanzig Mitarbeitern an, ihren Angestellten direkt am Arbeitsplatz einmal die Woche für zwanzig Minuten eine kleine Lockerungsgymnastik, eine Massageeinheit und etwas Ernährungsberatung zu gönnen. Ausgiebi- ge Gymnastik, Rückenseminare und Aqua-Fitness können das Gesundheitsprogramm außerhalb ergänzen. „Business Health Care“ nennen das die Amerikaner, oder „Corporate Wellness“.
Bevor die eigentlichen Kurse beginnen, werden die Arbeitsplätze auf Mängel untersucht, damit das Programm auf die jeweiligen Probleme abgestimmt werden kann. „Und wenn das Ganze funktionieren soll, müssen Sie den Erfolg auch kontrollieren“, betont Krenn. Sonst hängen die Teilnehmer des Vormittagskurses schon am Nachmittag wieder so ungesund im Stuhl wie vor der Schulung.
Krenn, der in den Siebzigerjahren, als Telex noch als eine moderne Angelegenheit galt, sein Geld mit Faxgeräten und hydraulischen Drehmomentschraubern machte, ist überzeugt, dass der Trend auch hier einschlägt. Fünfundzwanzig Jahre habe er für Amerikaner gearbeitet und dabei vor allem eins gelernt: Für jeden Dollar, den ein Betrieb in sein Personal investiere, bekomme er drei Dollar zurück. So jedenfalls lautet das Sprichwort. Zu seinen Kunden gehören vor allem Verwaltungsbetriebe. In der Regel werden die Programme vom Arbeitgeber bezahlt, die Mitarbeiter stellen die Zeit zur Verfügung.
Bis 1996 konnten derartige Gesundheitskurse als prophylaktische Maßnahmen noch von den Krankenkassen finanziert werden. Nachdem die Kassen drei Jahre lang Rückenschulen und Entspannungkurse grundsätzlich nicht bezahlen durften, hat der Gesetzgeber Anfang dieses Jahres wieder eine Möglichkeit dazu geschaffen: Als „den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen“ sind nun auch Schulungen über richtiges Heben drin, Ernährungsberatungen für die Kantine oder, bei Stressüberlastung, sogar Entspannungkurse. Manfred Schmidt, bei der AOK Berlin zuständig für Gesundheitsförderung, betont allerdings: „Dazu muss zuvor ein Bedarf festgestellt werden. Wir können nicht einfach einen Kurs machen, weil's schön ist.“ Die Kurse der Kassen sind dabei grundsätzlich in ein umfangreiches Programm der arbeitsmedizinischen Dienste eingebettet.
Diese Dienste werden vor allem angerufen, wenn ein Unternehmen bereits einen erhöhten Krankenstand festgestellt hat. Die Krankenkasse analysiert dann erst mal die Situation: Sie hat Daten über die Krankheiten der Mitarbeiter, die das Unternehmen selbst nicht hat und grenzt so bestimmte Probleme ein. Reicht das nicht, werden die Mitarbeiter einzeln befragt. „Unter Umständen ist das für die Firma nicht ganz angenehm“, erklärt Schmidt, besonders wenn dabei Belastungen durch Probleme mit Vorgesetzten ans Licht kämen. Und oft sei es mit einem Rückenkurs oder Gymnastik nicht getan: Manchen Unternehmen empfehlen die Berater, ihre Führungskräfte zu schulen oder die Produktionsanlagen umzustellen.
„So etwas macht Sinn, wenn es ein Win-Win-Verhältnis ist“, so Schmidt: „Der Arbeitgeber spart, die Krankenkasse spart, und die Mitarbeiter fühlen sich wohler.“
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